POLITIK I Nach dem Kanzlerbesuch – viel Kritik, wenig Lob

Am Dienstagmittag speiste Olaf Scholz zusammen mit Xi Jinping. Es gab Krabbenfleisch, Dim Sums und andere chinesische Köstlichkeiten. Plötzlich sagte Xi, er habe von seinen Geheimdienstleuten gehört, dass Scholz nicht so gerne Chinesisch esse wie seine Vorgängerin Angela Merkel (sie verkehrt ja gerne im Jolly, einem China-Restaurant bei ihr um die Ecke). Scholz erwiderte schlagfertig und trocken, er solle sich einen neuen Geheimdienstchef suchen. Diese kleine Anekdote am Rande seines dreitägigen China-Besuchs kolportierte die Agentur Bloomberg mit Berufung auf einen Mitesser.

Der Vergleich mit Angela Merkel wurde nicht nur beim Essen angestellt. Viele Beobachter fragten sich: Wandelt Scholz bei seiner China-Reise auf Merkels Spuren? Wie sie besuchte auch er eine weitere Stadt (Chongqing) neben den obligatorischen Plätzen Beijing und Shanghai. Wie sie hatte er eine prominente Runde Wirtschaftsbosse mit im Flieger. Ist also in der deutschen China-Politik alles beim Alten, obwohl es seit Sommer 2023 eine China-Strategie gibt, die einen kritischeren Umgang mit China fordert? Viele deutsche Kommentatoren in den Medien, der (oppositionellen) Politik und auch Thinktanks sehen das so. Robin Alexander (Die Welt) wähnt sich „in der Endphase der Ära Merkel“. Der Aussenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) moniert, dass sich Scholz durch die Mitnahme einer Wirtschaftsdelegation zum Bittsteller gemacht habe. Rolf J. Langhammer (Kiel Institut für Weltwirtschaft, IfW) kritisiert, dass Scholz bei dieser Reise vor allem die Interessen der deutschen Wirtschaft vertreten habe, und weniger die europäischen. Abigael Vasselier (Merics) findet das auch und wird noch deutlicher: „I have to say it’s a disaster. There was no European dimension, either in the preparation or in the outcome of the visit.” Janka Oertel (European Council on Foreign Relations/ECFR) bedauert: „No breakthrough was achieved on any substantive area of European concern.”

Was haben all diese Kritiker erwartet? Zu viel. Mikko Huotari, Direktor des Merics, sagt realistisch: „Die Chinesen werden ihre Strategien nicht ändern, weil der deutsche Kanzler Kritik übt.“ Und Kritik hat Scholz geübt, auch wenn er sie in diplomatische Worte gekleidet hat. Nach dem Gespräch mit Xi Jinping hat er drei Themen angesprochen, „die für uns sehr wichtig sind“.  An erster Stelle nannte er den „russischen Angriffskrieg“, dann der „Kampf gegen den Klimawandel“ und drittens „die multilaterale, regelbasierte Ordnung“.  Die chinesischen Überkapazitäten sprach er nicht direkt an. Das tat er dann im Pressemeeting nach dem Gespräch mit Ministerpräsident Li Qiang. Dieser hatte zu Beginn des Meetings im Stile eines Freihandels-Theoretikers über komparative Kostenvorteile doziert, die China nun eben mal habe. So sagte er: „China´s new-energy industry has gained advantages through self-improvement and sufficient marketing competition, rather than government subsidies”. Scholz sieht das etwas anders: “Ich habe gegenüber Li meine Besorgnis formuliert, dass einseitige wirtschaftliche Entscheidungen in China Unternehmen in Deutschland und Europa vor große strukturelle Schwierigkeiten stellen.“ In seiner Abschluss-Pressekonferenz am Abend der Abreise schob er zu diesem Thema nach: „Es ist sehr klar, dass wir über die Frage von Überkapazitäten reden müssen, dass wir über Subventionswettbewerbe reden müssen.“

Neben den Überkapazitäten vor allem in den grünen Industrien (erneuerbare Energien und E-Autos) war vor allem das Thema Ukrainekrieg. Auch diesen hat Scholz immer wieder angesprochen. Zum Beispiel im Pressemeeting mit Li Qiang: „Chinas Wort hat Gewicht in Russland. Deshalb habe ich Präsident Xi gebeten, auf Russland einzuwirken, damit Putin seinen irrsinnigen Feldzug endlich abbricht.“ Konkret ging es um die Friedenskonferenz Mitte Juni in der Nähe von Luzern, zu der die Schweiz eingeladen hat. Die Frage ist, ob China daran teilnehmen wird. Xi hat sich dazu nicht deutlich geäußert. Er betonte immer wieder, dass dort auch Russland dabei sein müsse, was wiederum die Schweiz und der Westen nicht wollen. Scholz jedenfalls hat sich für die Konferenz und eine Teilnahme Chinas stark gemacht. Das hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi gefallen. In seiner abendlichen Videobotschaft sagte er: „I would like to specially thank Olaf, the Chancellor of Germany, for his leadership and appropriate international communication. And for the signals we have heard from Beijing.” Wenigstens einer, der Scholz gelobt hat.

Info:

Pressestatements von Xi Jinping und Olaf Scholz am 16. April: https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/pressestatements-von-bundeskanzler-olaf-scholz-und-staatspraesident-xi-jinping-am-16-april-2024-2271328?utm_source=substack&utm_medium=email

Readout des chinesischen Aussenministeriums zum Gespräch Xi-Scholz: https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/202404/t20240416_11282464.html

Pressestatement von Li Qiang und Olaf Scholz am 16. April: https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/pressestatements-von-bundeskanzler-scholz-und-dem-chinesischen-ministerpraesidenten-li-qiang-nach-dem-gemeinsamen-gespraech-am-16-april-2024-in-peking-2271460?utm_source=substack&utm_medium=email

Pressekonferenz Olaf Scholz am Ende seiner Reise: https://www.bundeskanzler.de/bk-de/aktuelles/pressestatement-von-bundeskanzler-scholz-zum-abschluss-der-reise-in-die-volksrepublik-china-am-16-april-2024-in-peking-2271522?utm_source=substack&utm_medium=email

Gemeinsame Absichtserklärung zum autonomen Fahren: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/04/20240416-deutschland-und-china-automatisiertes-und-vernetztes-fahren.html?utm_source=substack&utm_medium=email

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