China und der Umgang mit diesem global player beschäftigt zunehmend die deutschen politischen Parteien, nachdem sie diesen aufstrebenden Akteur der Weltpolitik lange Zeit sträflich vernachlässigt haben. Doch nun stellen sie quer durch alle Parteien ernüchternd fest: Wir haben relativ wenig Chinakompetenz in unseren Reihen, und wir haben zudem gar keine Strategie, wie man mit diesem zunehmend aggressiver und selbstbewusster auftretenden China umgehen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass durch fast alle Parteien Risse gehen. Die Trennungslinie verläuft zwischen denen, die wegen Hongkong und Xinjiang und überhaupt ein hartes Vorgehen fordern, und denen, die nach wie vor den Dialog suchen.
Immerhin: Die SPD-Fraktion hat mal angefangen, ein Papier zu formulieren. Kein Strategie-, sondern ein Positionspapier sollte es werden. Eine Standortbestimmung: Wo stehen wir?
Den formellen Auftrag dazu holte sich Dagmar Schmidt im November 2019 von der Fraktionsspitze ein. Die hessische Abgeordnete Dagmar Schmidt (Wahlkreis: Lahn-Dill) ist auch in dieser Legislaturperiode die Vorsitzende der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe sowie Berichterstatterin der Fraktion für Ostasien im Auswärtigen Ausschuss. Sie ist auf allen Seiten mit diesem Vorschlag auf große Zustimmung gestoßen, denn die Entwicklungen in China machen eine Positionierung notwendig,“ heißt es im Umfeld von Dagmar Schmidt.
Ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Fabian Stremmel, der an der Londoner SOAS (School of Oriental and African Studies) studierte und promovierte, hatte die Federführung des kleinen Teams, das sich auch externen Rat bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie den einschlägigen Thinktanks in Berlin und Brüssel einholte. Am Ende des Prozesses stand ein 15seitiges Positionspapier, das am 30. Juni veröffentlicht wurde und die Unterschriften von Dagmar Schmidt, Nils Schmid, dem außenpolitischen Sprecher der Fraktion, und Dirk Sawitzky, dem zuständigen Referenten der Fraktion, trägt.
Zum Inhalt: China wird als Partner, Wettbewerber und Systemrivale betrachtet. Die Autoren plädieren „für einen kontinuierlichen politischen Dialog“ mit China. Ohne ihn sei die Gestaltung der ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Herausforderungen unserer Zeit kaum vorstellbar. Bei diesen globalen Herausforderungen sei China für Deutschland und die EU Partner. Aber gleichzeitig ist China inzwischen auch Systemrivale, der „versucht sein autoritäres Entwicklungsmodell den Entwicklungsländern als attraktives Vorbild nahezubringen.“ Die Autoren konstatieren, dass sich „die Lage hinsichtlich politischer und bürgerlicher Rechte in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat.“ Außerdem beklagen sie die „Asymmetrie in den Handelsbeziehungen“. Ziel müsse es deshalb sein, „China vollständig in das regelbasierte Welthandelssystem zu integrieren.“ Um mit dem technologisch immer besser werdenden Wettbewerber China empfiehlt das Papier eine „aktive und strategische europäische Industriepolitik“. Überhaupt Europa: Es brauche eine einheitliche Positionierung Europas gegenüber China. Die zunehmende Rivalität China-USA wird mit Sorge betrachtet: „Eine Bipolarisierung des internationalen Systems ist nicht im europäischen Interesse.“
Ist das „nur“ ein Papier der Fraktion? Wie tickt das Willy-Brandt-Haus? Generalsekretär Lars Klingbeil, der im SPD-Präsidium nach dem Ausscheiden von Thorsten Schäfer-Gümbel für Internationales und damit auch für den Dialog der Partei mit Chinas KP zuständig ist, veröffentlichte just am 30. Juni einen Gastbeitrag bei T-Online, in dem er sich klar zu den Thesen des China-Papiers bekennt und etwas pointierter formuliert: „Einem Weg der riskanten Polarisierung, der in einem neuen Kalten Krieg endet, sollten wir uns von Anbeginn an verweigern. In einem neuen Kalten Krieg können wir nur verlieren. Sozialdemokratische Außen- und Friedenspolitik in der Tradition der Ostpolitik bedeutet, sich bipolaren Logiken nicht zu fügen.“ Für Chinas wirtschaftliche Aufholjagd zeigt er Verständnis: „Warum sollte China nicht danach streben, eine führende Technologie- und Industriemacht zu werden? Die Reaktion darauf kann aber nicht Abschottung sein. Für uns Europäer sollte das noch größerer Ansporn sein, technologisch nicht den Anschluss zu verpassen.“ Und zum guten Schluss: „Verantwortungsvolle Außenpolitik bedeutet heute nicht über, sondern mit China zu reden.“
Info:
Das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion ist abrufbar unter: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/positionspapier_china.pdf; den Gastbeitrag von Lars Klingbeil gibt es hier: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_88143906/spd-politiker-lars-klingbeil-in-neuem-kalten-krieg-koennen-wir-nur-verlieren-.html