Fast vier Tage waren sie im Jingxi Hotel kaserniert. Bewacht von Elitesoldaten tagten dort die Damen und Herren des Zentralkomitees der KP Chinas. In dem Hotel im sowjetischen Zuckerbäckerstil im Nordwesten Beijings diskutierten sie über die Zukunft des Landes. Am Abend des letzten Tages gab es ein Kommuniqué (das in den Abendnachrichten eine halbe Stunde lang verlesen wurde) und am Tag danach eine Pressekonferenz. Und es begann fortan die Stunde der Interpreteure und Zwischen-Den-Zeilen-Leser: Was wurde erwähnt, was nicht, was bedeutet diese und jene Jahreszahl usw.
Nach ein paar Tagen Abstand und dem Studium zahlreicher Kommentare und Einschätzungen finde ich folgende Punkte wichtig:
- Im Vordergrund stand der neue, der 14. Fünf-Jahresplan, der von 2021 bis 2025 gelten wird. Er wurde dort nicht beschlossen, sondern „nur“ diskutiert. Er wird formal vom Nationalen Volkskongress im Frühjahr nächsten Jahres. Und er wird sicher noch konkreter werden.
- Es wurde kein Wachstumsziel genannt. Es wird aber spekuliert, dass bis zum Frühjahr ein jährliches Wachstum von 5 Prozent noch Eingang in den Plan findet.
- Der Konflikt mit den USA wird nicht expressis verbis erwähnt. Es wird lediglich von “profound adjustment in the international balance of power“ gesprochen.“ Außerdem wird allgemein konstatiert, dass die Welt „is undergoing changes unseen in a century“.
- Technologiepolitik hat eine sehr hohe Priorität. Wang Zhigang, Minister für Wissenschaft und Technologie, sagte auf der Pressekonferenz: „It is the first time that a Five-Year-Plan (FYP) has dedicated a specific chapter to technology.” Folgende Technologien haben Priorität: Künstliche Inteligenz, Quantum, ICs, Life and Health, Neural Science, Biological breeding und Aerospace. Es ist die Rede, dass China eine technologische Superpower werden wolle, aber bei Technologien vom Ausland unabhängiger. Der Schock der Chip-Abhängigkeit sitzt tief. Interessant finde ich, dass das ambitiöse und konkrete „Made in China 2025“-Programm nicht erwähnt wird. Mit ihm hat man wohl zu viele schlafende Hunde geweckt.
- Im Mittelpunkt stand erwartungsgemäß die Dual Circulation Theory, die Theorie der zwei Kreisläufe. Der interne Kreislauf, also der Binnenmarkt, soll gestärkt werden. Aber der externe Kreislauf – der Handel mit dem Ausland – soll weiter zirkulieren. Minister Wang: „ This does not mean that China would shut its doors to the world.”
- Es wurde außerdem neben dem FYP eine Vision bis 2035 beschlossen. Das ist ungewöhnlich, aber es ist nicht das erste Mal, dass das ZK neben dem FYP eine solche mittelfristige Perspektive erarbeitete. Schon 1995 wurde eine Vision bis 2010 vorgestellt. Bis 2035 soll China „a moderately developed country“ werden. In Zahlen bedeutet das: Ein Pro-Kopf-BIP von 20 000 Dollar, also eine Verdoppelung gegenüber heute. Nach Berechnungen von Nomura würde dies ein jährliches Wachstum von 4,7 Prozent implizieren. Warum 2035? Dieses Jahr liegt auf halbem Wege zwischen 2021 und 2049, dem 100. Gründungstag der Volksrepublik. 2035 sei also ein gutes Jahr, um Zwischenbilanz zu ziehen. Manche Auguren spekulieren auch, dass 2035 das Jahr sei, bis zu dem Xi Jinping im Amt bleiben wolle. Er wäre dann 83 Jahre alt. (So alt war übrigens Mao Zedong, als er sein Amt als KP-Chef todgedrungen abgab).
- Neu ist, dass in dem mittelfristigen Plan ein militärisches Ziel auftaucht. Im Kommuniqué heißt es: …“ensuring the achievement by 2027 of the century-long goal of modernizing the army”. Warum gerade 2027? Am 1. August 2027 feiert die Volksbefreiungsarmee ihren 100. Geburtstag.
- Die ehrgeizigen Umweltziele, die Xi auf der UN-Vollversammlung verkündet hat (siehe den nächsten Artikel), tauchen nicht auf. Es wird deshalb spekuliert, dass Xi mit dieser Ankündigung seine eigenen Planer überrascht habe. Man kann aber davon ausgehen, dass bis zum März konkrete ökologische Schritte in den Fünf-Jahres-Plan aufgenommen werden.