Es gehört zum Ritual von Verhandlungen mit und innerhalb der EU das Zeitlimit bis zur letzten Minute auszuschöpfen. So war es früher bei den Agrar- und Fischereiverhandlungen, so ist es derzeit bei internationalen Abkommen mit der EU. Nach dem Brexit-Deal in letzter Minute wurden nun auch die Verhandlungen über das Investitionsschutzabkommen mit China kurz vor der Deadline Jahresende abgeschlossen. Am Montag nach Weihnachten präsentierte ein Vertreter der EU-Kommission den Ständigen Vertretern der 27 Mitgliedstaten das Ergebnis. Es gab offenbar keinen Widerspruch, weder von Frankreich noch von Polen, die zuletzt noch Kritik geäußert hatten. Bei einer Videokonferenz am frühen Mittwochnachmittag wurde dann der Deal zwischen den Präsidenten Xi Jinping, Ursula von der Leyen (EU-Kommission) und Charles Michel (EU-Rat) offiziell besiegelt. Das Abkommen (in der Behördensprache: Comprehensive Agreement on Investment) hat mehrere Sieger: Vorweg China, weil es für das Land ein enormer Prestigegewinn angesichts der geopolitischen Lage ist. China ist nicht der Paria-Staat, mit dem man keine Deals macht. Profiteur ist aber auch die europäische Wirtschaft, weil nun Firmen gewisser Branchen (Bau, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Verkehr) einen leichteren Zugang zum lukrativen, aber bislang eher verschlossenen chinesischen Markt bekommen. Und zu den Siegern zählt auch Berlin, weil unter deutscher Präsidentschaft dieser Deal final zustande kam. Es war eines der großen Vorhaben der deutschen Präsidentschaft, dieses Abkommen, über das sieben Jahre verhandelt wurde, zu einem Abschluss zu bringen. Dies ist unter schwierigen Bedingungen jetzt gelungen. Dabei half, dass sich die USA in einem Interregnum befinden. Die Beijinger Regierung fürchtete wohl zurecht, dass es unter dem Multilateralisten Joe Biden zu einer Annäherung zwischen den USA und der EU kommt und sich die beiden westlichen Mächte in manchen Fragen gegen China verbünden werden. Um das zu verhindern bzw. abzumildern war Beijing wohl plötzlich zu einigen Zugeständnissen bereit (zum Beispiel bei der Frage von Arbeitnehmerrechten). Die USA in Person des designierten Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan versuchten noch zu intervenieren, ebenso eine Gruppe von EU-China-Experten (darunter Mikko Huotari, Max J. Zenglein und Lucrezia Poggetti von Merics sowie Janka Oertel vom ECFR). Offenbar vergebens. Die verhandelnde EU-Kommission nutzte die Stunde – und bewies damit ihre strategische Souveränität. Das Europäische Parlament muss dem Abkommen allerdings noch zustimmen. In der nächsten Ausgabe mehr über das Abkommen – mit Analysen und Interviews.
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