Karl Johans Gate ist die Prachtstraße in Oslo. Sie reicht vom Bahnhof bis zum Schloss. Viele der Top-Marken der Welt sind hier mit Shops vertreten. Im Gebäude mit der Nummer 33A wird sich im Herbst eine Marke präsentieren, die fast niemand in Norwegen kennt: NIO heißt der neue Mieter. Auf zwei Etagen entsteht derzeit das NIO House. Darin wird es eine offene Küche mit einem Café geben, eine Bibliothek, ein Spiel & Spaß-Zimmer, ein Wohnzimmer zum Entspannen – und eine Galerie, in der Autos gezeigt werden, denn schließlich verkauft NIO Autos, Elektroautos um genau zu sein.
NIO ist einer der chinesischen Newcomer, die es nach Europa drängt. Ab Herbst wird in Norwegen der ES8 – ein Siebensitzer – verkauft. Konkurrent Xpeng ist schon da und verkauft seit Dezember den kleinen SUV G3 – ebenfalls in Norwegen.
Warum ausgerechnet von Norwegen aus Europa erobern? Die Antwort ist ganz einfach: Norwegen ist – relativ gesehen – das Land mit den meisten E-Autos. 62 Prozent aller neu zugelassenen Autos fahren mit Batterie, weil der Staat Steuererleichterungen gibt und die Ladeinfrastruktur schon gut ausgebaut ist. Marktführer sind Audi, Tesla und VW. Aber nun wollen die Chinesen angreifen. Norwegen soll für NIO wie für Xpeng freilich nur das Sprungbrett Richtung Europa sein. Welche weiteren Länder die beiden im Visier haben, will NIO auf der IAA im September und Xpeng schon demnächst verraten. Auf dem ziemlich unübersichtlichen chinesischen Markt für Elektroautos haben diese beiden Unternehmen in den vergangenen Monaten die Pool-Position erobert. Xpeng (voller Name: Xiaopeng Motors) wurde 2014 von He Xiaopeng gegründet, einem ehemaligen Manager des staatlichen Autokonzern GAC in Guangzhou. Das Unternehmen ist an der der New Yorker Börse gelistet und hat mit Alibaba, Foxconn und Xiaomi potente Geldgeber. Es hat neben dem G3 auch noch die Sportlimousine P7 im Angebot. Während Xpeng eine sehr chinesische Veranstaltung ist, hat sich NIO von Anfang an – also ab 2014 – sehr international aufgestellt. Zwar ist der Sitz in Shanghai, aber in München ist seit 2015 das europäische Headquarter und auch das Design-Center unter der Leitung von Kris Tomasson, dem früheren BMW-Designer. Das Headquarter für autonomes Fahren ist im kalifornischen San Jose. Insgesamt arbeiten in dem Unternehmen rund 4000 Mitarbeiter aus 48 Nationen. NIO positioniert sich im Premium-Segment. Der ES8 kostete zwischen 59 000 und 72 000 Euro.
Viel günstiger bietet ein dritter chinesischer Hersteller seine E-Autos in Europa an: Aiways. Für 38 990 Euro bekommt man seit August 2020 den U5 in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Dänemark und Frankreich. Ein weiteres Modell – der U6, ein Crossover Coupé – soll Ende 2021 auf den Markt kommen. Auch Aiways hat seine Europazentrale in München. Leiter ist dort Alexander Klose, ein ehemaliger Manager von BMW und Volvo China. Interessant ist das Vertriebsmodell von Aiways. Die Autos werden über den Elektrofachhändler Euronics angeboten, der After-Sales-Service erfolgt über den Kfz-Teile-Filialisten A.T.U. Soeben hat Joachim Becker in der Süddeutschen Zeitung den U5 getestet und konstatiert neben ein paar Kritikpunkten: Der U5 „wirkt nicht nur edel, sondern auch so geräumig wie ein Auto der nächsthöheren Preisklasse.“ Die Tester von Auto-Bild loben: „Es fällt auf, wie gut der U5 verarbeitet ist: nichts klappert.“
NIO, Xpeng, Aiways sind also schon da. Und das nächste E-Auto aus China rollt bereits an. Der etablierte Anbieter BYD aus Shenzhen will im Spätsommer mit seinem Siebensitzer Tang vorfahren. Wo schon? In Norwegen.