China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Ralph Vigo Koppitz (53).
„Der Boss ist jetzt meine Frau“, sagt Ralph Vigo Koppitz und lacht, „nun also auch im Beruf.“ Seit zwei Jahren arbeitet er in der kleinen Firma seiner chinesischen Gattin. Davor war er über 20 Jahre Anwalt bei renommierten deutschen Kanzleien in Beijing und Shanghai. Eigentlich hat er gar nie in Deutschland als Anwalt gearbeitet, weil er gleich nach dem Referendariat in China landete. Und das kam so: Schon während es Jura-Studiums an der LMU München interessierte sich Koppitz für Internationales
Recht. Er machte Praktika bei der UN in New York und bei einer Kanzlei in Singapur. Er reiste durch Asien und 1994 erstmals nach China – mit Bahn und Bus von Hongkong nach Beijing. „Beijing fand ich faszinierend.“ Es war deshalb für ihn klar, dass seine Wahlstation im Referendariat Beijing sein sollte. Er absolvierte sie im Büro von Pünder Volhard und machte dort einen so guten Eindruck, dass sie ihn gerne eingestellt hätten – allerdings unter einer Bedingung: Er müsse sein Chinesisch verbessern. Koppitz ließ sich darauf ein und sondierte, wie und wo er nach Ende seines Referendariats Chinesisch lernen könnte. Welch glückliche Fügung: Der DAAD startete damals sein Programm „Sprache und Praxis in China“. Im Sommer 1996 landete er mit dem ersten Jahrgang an der Beijing Normal University. Ein Jahr paukte er Chinesisch. Danach war es nur eine Formsache, dass er bei Pünder Volhard unterschrieb und 1997 gleich ins Beijinger Büro wechselte. Es war damals eine spannende Zeit. Viele Joint-Ventures wurden gegründet. Mit Sabine Stricker-Kellerer, Stefanie Tetz und Joachim Glatter hatte der junge Koppitz exzellente Lehrmeister. 2000 landete Pünder Volhard bei der britischen Kanzlei Clifford Chance. Dann ging Stricker-Kellerer weg zu Freshfields, Glatter zu Taylor Wessing. Er entschied sich ebenfalls für Taylor Wessing, denn dort musste das Shanghaier Büro neu aufgebaut werden. 2002 zogen er und seine chinesische Frau nach Shanghai. 18 Jahre blieb er dort bei Taylor Wessing. Gesellschafts- und zunehmend Arbeitsrecht waren seine Schwerpunkte. Frage an den erfahrenen Juristen: Wie hat sich Chinas Rechtssystem in der Zeit verändert? Antwort: „Es hat sich enorm verbessert, auch was die Rechtssicherheit und die Transparenz anbelangt. Vor 20 Jahren hätten wir uns eine solche Entwicklung nicht vorstellen können.“ Es war eine spannende Zeit, aber auch eine stressige Zeit. Und nach so langer Zeit kommen zwangsläufig Fragen auf: Wie lange will ich das machen? In Shanghai bleiben oder zurück nach München? Er und seine Frau entschieden: Wir bleiben, aber Ausstieg – das ist jetzt meine Formulierung – aus dem Hamsterrad einer Großkanzlei und stattdessen Einstieg in die kleine Beratungsboutique, die seine Frau schon 2003 unter dem Namen Linie gegründet hatte. Sie ist auf Firmengründungen und Aufenthaltstitel (also Visa und Green Cards) spezialisiert. Alles Gebiete, die zu seiner vorherigen Tätigkeit bei Taylor Wessing passen. Zudem sieht er als neues Betätigungsfeld das Lieferkettengesetz, bei dem zunehmend Beratungsbedarf besteht. „Ich bereue den Schritt nicht“, sagt Koppitz über seinen Wechsel, „ich kann meine Zeit nun sehr viel freier einteilen.“ Allein durch das Home Office spare er jeden Tag zwei Stunden Fahrzeit. Nebenbei unterrichtet er noch Vertragsrecht an der Shanghai University of Political Science and Law. Und er nimmt sehr aktiv am Leben der deutschen Expat-Community teil. Letzte Frage: Wie lebt es sich in Corona-Zeiten in Shanghai? „Shanghai ist sehr darauf bedacht, nicht die ganze Stadt lahmzulegen, höchstens mal ein Gebäude oder ein Compound“, sagt Koppitz, „wir leben hier in einer Blase ohne großen Stress“. Das einzige, was die Leute bedrückt, seien die Reisebeschränkungen. Flüge ins Ausland seien kaum möglich, sagt Koppitz, der zehn Minuten vom Flughafen Hongqiao wohnt. Aber immerhin konnte er seine beiden ältesten Kinder an den Flughafen begleiten und Richtung Deutschland verabschieden, denn beide studieren dort- der Sohn BWL in Mannheim, die Tochter Internationale Not- und Katastrophenhilfe in Berlin. Die jüngste Tochter geht noch in Shanghai zur Schule. Nicht nur deswegen sagt Koppitz: „Wenn hier alles stabil bleibt, bleiben wir sicher in den nächsten fünf Jahren noch in Shanghai.“