Ein Land – zwei Systeme. So steht es im Vertrag zwischen Beijing und London über das Schicksal Hongkongs. Nach der Übergabe 1997 sollte diese Maxime noch 50 Jahre gelten. Anfang Juli ist die Hälfte rum. Und es gilt inzwischen eher die Gleichung: ein Land – ein System. Das zeigt sich auch an den bevorstehenden „Wahlen“ des neuen Regierungschefs in Hongkong. Am 8. Mai wird der einzige Kandidat John Lee von einem ausgewählten Kreis bestimmt. Nur zu Erinnerung für diejenigen, die den Untergang der vermeintlichen Demokratie in Hongkong bedauern: Früher wurde der Governor von London ernannt. Aber immerhin war Hongkong unter den Briten ein Rechtsstaat sowie ein Ort der Presse- und Meinungsfreiheit. Beides schmilzt dahin. Doch es gibt noch einen Bereich, in dem „ein Land – zwei Systeme“ gilt: Bei der Corona-Bekämpfung. Das wird in diesen Tagen besonders deutlich. Während Shanghai in einem nicht enden wollenden und zunehmend kritisierten Lockdown verharrt und Beijing ähnliches droht, öffnet Hongkong. Ab 1. Mai dürfen (nach diversen Tests und einwöchiger Quarantäne) wieder Touristen in die Stadt. Hongkong hat sich von der Zero-Corona-Politik verabschiedet, während Beijings Führung noch starr(köpfig) an ihr festhält. Es ist davon auszugehen, dass Hongkong dazu den Segen von Beijing bekommen hat. Warum hat die chinesische Führung das gemacht? Will man im Erfolgsfalle Hongkong zum Vorbild nehmen? Das ist altbewährte chinesische Trial-&-Error-Taktik: Man probiert in einer Stadt oder Region etwas aus. Und wenn es klappt, übernimmt man es im ganzen Land. Ich weiß, das ist Spekulation. Aber keine Spekulation ist mein Entschluss: Wenn Hongkong auch noch die Quarantäne kippt, werde ich flugs nach Hongkong reisen. Meine letzte große Reise vor Corona war im Januar 2020 nach Hongkong. Die erste Reise nach Corona soll mich wieder dorthin führen.
Wolfgang Hirn