SPORT I Fussball: Neue Saison, alte Probleme / Von David Spröer

Am 3. Juni startet die Chinese Super League (die höchste Fußball-Liga des Landes) in die neue Saison. Corona-bedingt wird in nur drei Städten gespielt: Dalian, Meizhou und Haikou. Kurz vor Saisonbeginn meldet sich ein Verein wegen Finanzproblemen ab und dokumentiert mal wieder die andauernde Misere des chinesischen Fußballs, die seit Jahren anhält. Minus 1,23 Milliarden Euro beträgt die Transferbilanz der CSL zwischen 2014 und 2020. Meist aus Europa kauften die Klubs Superstars, um diese wenige Jahre später oft ablösefrei wieder nach Europa oder Südamerika abzugeben. Finanziert wurde dieses finanzielle Desaster durch große Konzerne, kaum ein chinesisches Team finanziert sich selbst. Shanghai Shenhua wird unterstützt durch den Immobilienkonzern Greenland Shenhua, Shanghai Port FC von der Hafengesellschaft SIPG und Guangzhou FC vom Immobilienriesen Evergrande. Infolge des Rückzugs des Elektronikhändlers Suning aus dem Erstligaklub Jiangsu FC musste dieser Anfang 2021 Insolvenz anmelden, als amtierender Meister. Beispiele dieser Art gibt es zur Genüge, mindestens ein Dutzend Vereine gingen in den letzten zwei Jahren pleite, soeben kurz vor Saisonbeginn Chongqing Liangjiang Athletics.

Die Regierung hat die Zeichen erkannt und einen Strategiewechsel vollzogen: Anstatt Stars aus dem Ausland zu holen fokussiert sich die Fußballpolitik nun auf die Entwicklung von lokalen Talenten. Dazu wurde die Anzahl der Fußballplätze laut Angaben der chinesischen Regierung von 50 000 im Jahr 2013 auf 70 000 im Jahr 2020 erhöht. Bis 2025 setzt sich der Entwicklungsplan, der 2016 veröffentlicht wurde, das Ziel von 50 000 „Fußballschulen“. Das sind öffentliche Schulen, die im Sport Fußball anbieten. Als Trainer fungieren dort meist Sportlehrer, die oft über keine oder wenig Fußballkompetenz verfügen, doch auch hier wird etwas getan. Ausländische Fußballtrainer sollen die Lehrer ausbilden, aber angesichts der Größe des Landes wird es dauern, bis die Ausbilder an jeder Schule waren. Fünfzigtausend Schulen brauchen – konservativ geschätzt – 10 Sportlehrer pro Schule. Das macht eine halbe Million zukünftiger Fußballtrainer. Nimmt man das durchschnittliche Lehrergehalt von rund 700 Euro im Monat als Grundlage, summieren sich die Gehaltskosten auf mindestens 4,2 Milliarden Euro netto jährlich. Ausgeklammert lassen wir hierbei sogar noch die Elitesportschulen, an denen Trainer deutlich besser bezahlt werden.

An deutschen Schulen wird kein Fußball angeboten, um den Vereinen zuzuarbeiten. Ttrotzdem produziert das Land Jahr für Jahr neue Stars für die Bundesliga. Warum? Was macht Deutschland anders und besser als China?

Die deutschen Profivereine der ersten beiden Ligen sind verpflichtet, Nachwuchsakademien nach bestimmten Vorgaben zu betreiben. 56 dieser Nachwuchsleistungszentren gibt es in Deutschland, kein Vergleich zu den fünfzigtausend Fußballschulen in China. Einige der Trainer werden zwar besser bezahlt als die chinesischen Lehrer, doch viele Übungsleiter arbeiten auf 450-Euro-Basis, besonders in den jüngeren Altersklassen. Dazu hat eine ARD-Reportage vor nicht allzu langer Zeit über Lohn-Dumping in den deutschen Nachwuchsleistungszentren berichtet.

Für die Entwicklung der deutschen Fußballer zahlen Ehrenamtler. Mit Zeit, Einsatz und auch Geld unterstützen 1,7 Millionen ehrenamtliche Mitarbeiter den deutschen Fußball. Viele leisten mehr als 20 Stunden die Woche, um den Verein zu organisieren und Kinder zu trainieren. Würde man diesen Menschen auch nur ein chinesisches Lehrergehalt zahlen, was in Deutschland viel weniger wert wäre, ergäbe sich eine jährliche Summe von rund 13 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Fußball-Bundesliga hat in der Saison 2020/21 einen Umsatz von knapp 3,5 Milliarden Euro gemacht. Tatsächlich hat sogar der DFB selbst den gesellschaftlichen Wert seiner Ehrenamtler auf 13,9 Milliarden Euro geschätzt, dabei allerdings nicht nur Lohnkosten berücksichtigt. Die Fußballbranche wäre niemals in der Lage, dieses System von Ehrenamtlern fair zu entlohnen. Glücklicherweise ist das auch nicht nötig, denn selbst wenn ein bisschen mehr Unterstützung vonseiten der „Großen“ in jedem Amateurklub gern gesehen wäre, sind Ehrenamtler nicht vorrangig finanziell motiviert.

Auf dem Weltmarkt der Fußballprofis konkurrieren Talente aus China mit denen aus Ländern wie Deutschland. Der Wettbewerbsvorteil Ehrenamt macht Fußball zu einer Branche, in der andere Gesetze gelten als in der Industrie. Die gleichen Strategien, die für China in anderen Branchen funktioniert und die für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes gesorgt haben, funktionieren im Fußball nicht. Massive finanzielle Investitionen produzieren nicht in gleichem Umfang den gewünschten Output. Der chinesische Fußball muss sich seinen eigenen Weg suchen. Angesichts der enormen Arbeitsbelastung und des Konkurrenzkampfs chinesischer Arbeitnehmer scheint es unwahrscheinlich, dass Ehrenamtler den Schlüssel zum Erfolg darstellen. China wird sich einen Sonderweg suchen müssen. Die nächsten Jahrzehnte werden zeigen, wie erfolgreich es dabei ist.

Info:

Transferbilanz Super League:

https://www.transfermarkt.de/chinese-super-league/transferbilanz/wettbewerb/CSL

Anzahl Fußballplätze und Fußballschulen:

http://german.xinhuanet.com/2016-05/12/c_135352936.htm

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