POLITIK I Hitze und Überschwemmungen – ein Katastrophen-Sommer

In Chongqing – damals kurzzeitig Kriegs-Hauptstadt im tiefen Westen des Landes – bauten sie im Zweiten Weltkrieg Hunderte von Luftschutzkellern im Krieg gegen die Japaner; in Nanjing taten sie dasselbe in den 70er Jahren aus Angst vor den Sowjets, mit denen China damals im Clinch lag. Die Feinde von einst stellen (derzeit) keine Gefahr mehr da. Der Feind ist jetzt ein anderer. Er ist staatenlos, aber er ist auch gewalttätig. Naturgewalttätig. Hitzewellen bedrohen derzeit das Land. Und wer in Chongqing oder Nanjing wohnt und älter bzw. krank ist, darf in diesen Tagen in die Luftschutzkeller von einst flüchten. Dort gibt es kühle Getränke, Mikrowellenherde, WiFi – und vor allem angenehme 24 bis 26 Grad. Draußen herrschen dagegen über 40 Grad. Chongqing, Nanjing und Wuhan nennt man „san da huolu“ – die drei Glutöfen-Städte. Alle drei liegen am Jangtse. Dort war es sommers immer heißt. Doch dieses Jahr ist es noch heißer. Und die Hitze bleibt nicht nur auf dieses Trio beschränkt. Über 80 chinesische Städte haben Hitze-Warnungen herausgegeben, weil Temperaturen über 40 Grad gemessen wurden. Shanghai meldete 40,9 Grad. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1873 war es dort noch nie so heiß. 

Es ist jetzt schon ein Katastrophensommer. Denn die Hitzewellen im nördlichen Landesteil folgen auf die Flutwellen im Süden. Dort – vor allem in der Provinz Guangdong – gab es im Juni die heftigsten Regenfälle seit über 60 Jahren. Erdrutsche und die Evakuierung von über 180 000 Menschen waren die Folgen. Beide Naturereignisse – Hitze und Fluten – haben gravierende Folgen für das Land, das durch seine Corona-Politik schon genug gebeutelt ist. In der Landwirtschaft drohen Ernteausfälle. Vor allem Mais, Sojabohnen und Weizen sind von den Wetterkapriolen betroffen. Weil Mais und Soja als Viehfutter dienen, wird das auch Auswirkungen auf die Fleischproduktion haben. Es ist damit zu rechnen, dass angesichts der Knappheit die Preise für Nahrungsmittel steigen und damit auch die Inflation zunimmt. Vor allem die Preise für Schweinfleisch bereiten den Verantwortlichen Sorgen. Die mächtige NDRC (National Development and Reform Commission) plant sogar, die strategischen Reserven bei Schweinefleisch anzugreifen.  Aber auch außerhalb der Landwirtschaft gibt es Probleme. Weil die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, kommt es zu Engpässen bei der Stromversorgung. Einige Unternehmen in energieintensiven Branchen mussten ihre Fabriken stilllegen. Schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres war es wegen Versorgungsproblemen vermehrt zu Blackouts gekommen. Chinas Führung ist alarmiert. Regierungschef Li Keqiang forderte kürzlich bei einem Besuch in Yunnan „resolute efforts“ um weitere Blackouts zu verhindern. Nicht zufällig wurde gleichzeitig im Parteiblatt Quishi eine Rede von Xi Jinping abgedruckt, die er im Dezember gehalten hatte. Darin sagte er: „The government will never allow a major incident like large-scale power cuts to happen again.” Chinas Führung steckt in einem Dilemma. Einerseits hat sie sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt, wie zuletzt in der Mitte Juni veröffentlichten „Nationalen Strategie zu Anpassung an den Klimawandel 2035“.  Will sie jedoch diese Ziele erreichen, muss sie vor allem den Kohle-Konsum reduzieren, was zu Engpässen bei der Stromerzeugung führen und damit auch das Wirtschaftswachstum gefährden wird. Chinas Regierung muss sich auch für die nächsten Jahre auf einen schwierigen Balanceakt zwischen Ökologie und Ökonomie einstellen. Naturkatastrophen wie dieses Jahr bringen sie dabei noch mehr ins Schwanken.

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