China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Wolfgang Georg Arlt (65).
Es war 1999 auf der ITB in Berlin. Ein gewisser Wolfgang Georg Arlt gab eine Pressemeldung heraus mit der Botschaft: Die Chinesen kommen. Die damalige Chefin der Deutschen Zentrale für Tourismus blaffte ihn daraufhin an, er solle nicht einen solchen Quatsch verbreiten. Aus dem Quatsch wurde Jahre später Realität: Touristenströme aus China ergossen sich über Europa und damit auch über die deutschen Lande. Wolfgang Georg Arlt war damals weitsichtig, weil er China und die Chinesen kannte, denn er war schon jahrelang im Tourismusgeschäft von und nach China unterwegs. Zudem war er Sinologe, wozu er aber eher zufällig kam.
Mitte der 70er Jahre machte er in Berlin sein Abitur. Er wollte Germanistik studieren, weil er dachte, damit könne er Schriftsteller werden. Noch vor dem Abitur erkundigte er sich in der Rostlaube an der FU Berlin nach diesem Studiengang und musste feststellen, „dass man dort gar nicht lernt, Schriftsteller zu werden, sondern nur lernt über Schriftsteller zu reden.“ Außerdem besuchte er eine Erstsemesterveranstaltung mit 800 Studierenden in einem Hörsaal. „Das war nichts für mich“, sagt Arlt heute. Irgendjemand erzählte ihm dann von einem Studiengang namens Sinologie, bei dem sich überschaubare Gruppen in einer ehemaligen Villa von Max Schmeling in Dahlem trafen. China? „Das war damals der verschlossenste Teil der Welt“, sagt Arlt, „das hat mich neugierig gemacht.“ Er fand die Sprache, die keine Zeiten und weder Deklinationen noch Konjugationen kennt, spannend und ließ sich Zeit, sie zu erlernen. Zehn Jahre studierte er, darunter waren allerdings Mandarin- und Kantonesisch-Sprachstudien auf Taiwan und in Hongkong. 1985 war er fertig. Und nun? Viele Alternativen hatten Sinologen in jener Zeit nicht: Uni-Laufbahn, Taxifahrer, Reiseleiter? Arlt wurde Reiseleiter, erst angestellt, dann gründete er seine eigene Reiseveranstalter-Firma. Das Tiananmen-Massaker 1989 beendete allerdings jäh die Reisetätigkeit. Am 1. Juni 1989 stand er mit seiner letzten Reisegruppe noch auf dem Tiananmen. Dann war Ende. In Berlin fiel die Mauer. Er wurde Chef des Deutschen Ostasien-Instituts, das vor allem ehemalige DDR-Diplomaten, die mit der Region vertraut waren, beschäftigte. „Das war eine reine ABM-Maßnahme“, sagt Arlt. Nach zwei Jahren war Schluss. Er musste sich wieder neu orientieren. Nach 1992 hatten sich die Beziehungen zwischen China und dem Westen wieder einigermaßen normalisiert. Die Chinesen zeigten großes Interesse, mit deutschen Firmen in Kontakt zu kommen. Arlt sah darin eine Chance und gründete mit zwei chinesischen Freunden eine Agentur, die Delegationsreisen nach Deutschland organisierte. Es war damals üblich, Dutzende von Beamten nach Europa zu bringen und ihnen die Sehenswürdigkeiten des Kontinents zu zeigen, um die geschäftlichen Beziehungen zu unterstützen. So kombinierten viele Delegationen aus Shenzhen einen Aufenthalt bei Siemens Verkehrstechnik in Erlangen zu Verhandlungen über den Kauf der ersten U-Bahn-Linie mit einem Besuch des Eiffelturms oder des Oktoberfestes. Bezahlt hat die Reise natürlich Siemens. Für Arlts Firma waren dies lukrative Zeiten, aber die Konkurrenz wurde nach dem offiziellen Beginn des privaten Auslandstourismus in China 1997 immer größer. Er stieg aus dem Unternehmen aus und schlug die akademische Laufbahn ein. Zuerst beendete er seine Promotion über die misslungene Kooperation zwischen Russisch-Fernost, dem nördlichen Teil Nordkoreas und Chinas Nordosten. Danach unterrichtete er erst fünf Jahre Leisure and Tourism Management an der Hochschule Stralsund, ehe er an die Fachhochschule Westküste in Heide (Schleswig-Holstein) wechselte. Dort lehrte er bis 2020 International Tourism Management. Nebenbei gründete er bereits 2004 seine private Beratungsfirma COTRI. Das Kürzel steht für China Outbound Tourism Research Institute. Es berät und trainiert private und öffentliche Tourismusorganisationen in aller Welt, „wie man chinesische Touristen glücklich macht und dabei Geld verdient“. Von Florida über Laos bis nach Papua Neuguinea ist sein Rat gefragt, nur im eigenen Lande sei man reserviert, sagt Arlt, der inzwischen in Hamburg lebt. Dabei könnten die Deutschen durchaus Rat gebrauchen, denn die Attraktivität Deutschlands unter Chinas Touristen geht urück. Das war der Trend vor Corona. Ob er nach der Pandemie anhält? Viel wichtiger ist aktuell allerdings die Frage: Wann öffnet sich China wieder? Der Tourismus-Experte Arlt nennt es „die Ein-Millionen-Dollar-Frage“, um sie dann for free zu beantworten: „Spätestens im nächsten Frühjahr.“
Info:
Die Homepage von Cotri gibt es hier. Dort kann man auch den wöchentlichen Newsletter COTI Weekly über den chinesischen Tourismus abonnieren: https://china-outbound.com/