Nun steigt also Olaf Scholz am Abend des 3. November in den Regierungsflieger, um am nächsten Morgen zu einem eintägigen Besuch in Beijing zu landen. Er wird nicht der erste ausländische Regierungschef sein, der Xi Jinping nach dem Parteitag seine Aufwartung macht (dieses Privileg gebührt Vietnams Staatschef), aber er wird der erste europäische sein. Das gefällt manchem Kollegen in der EU nicht, ebenso nicht das Scholzsche Ja-Wort zum chinesischen Einstieg in den Hamburger Hafen. Emmanuel Macron zum Beispiel kritisiert beides. Er wäre lieber gemeinsam mit Scholz nach China geflogen. So wird er wohl noch in diesem Monat solo nach Beijing düsen. Andere europäische Regierungschefs stoßen sich an diesen frühen Besuchen von Scholz (und Macron) so kurz nach dem Jubel-Parteitag. Nicht nur diese Reisepläne sind innerhalb der EU umstritten, sondern die gesamte europäische China-Strategie. Mitte Oktober diskutierte man innerhalb der EU das Thema China gleich zweimal auf höchster Ebene. Erst am 17. Oktober in Luxemburg beim Treffen der Außenminister, dann vier Tage später sogar in Brüssel beim Gipfel der Regierungschefs, die sich gar drei Stunden für das Thema China Zeit nahmen. Grundlage für beide Treffen war ein sogenanntes Non-Paper des EEAS (European External Action Service). Auf fünf Seiten schlugen die Beamten des europäischen auswärtigen Dienstes einen härteren Kurs gegenüber China vor. China sei zu einem noch stärkeren globalen Wettbewerber für die EU geworden, heißt es dort. Außerdem kritisieren die Euro-Beamten: „China´s activities and positions in multilateral organisations exemplify its determination to systemically promote an alternative vision of the world order.” Aber immerhin sei man zu „begrenzter potenzieller Zusammenarbeit“ in den Bereichen Klima, Umwelt und Gesundheit bereit. Es sieht nach den beiden Treffen so aus, dass der Ton gegenüber China kritischer wird, dass China mehr als Wettbewerber und Rivale angesehen wird. Im März 2019 veröffentlichte die EU ihr berühmtes Strategiepapier, in dem China als Partner, Wettbewerber und Rivale bezeichnet wurde. Inzwischen gefällt vielen in der EU diese Reihenfolge nicht mehr. Sie plädieren vielmehr für Wettbewerber, Rivale und Partner. Im Kommuniqué nach dem Außenminister-Treffen wird noch am alten Dreiklang festgehalten: „The Council reconfirmed the validity of the EU´s multifaced approach to China – a partner with whom the EU must engage, a tough competitor and a systemic rival.“ Interessant ist, dass das Wörtchen “tough“ (hart, schwierig) erstmals vor dem Wort „competitor“ (Wettbewerber) auftauchte. Josep Borrell, der Außenbeauftragte der EU, sprach ebenfalls nach dem Treffen von China als „a tough competitor, tougher and tougher“. Bei beiden Treffen wurden keine Beschlüsse gefasst oder gar eine strategische Neuorientierung der EU Richtung China beschlossen. Zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen EU-Staaten. Insofern ist auch fraglich, ob diese Dreiteilung Partner-Wettbewerber-Rivale überhaupt als Grundlage für eine Strategie taugen kann. Denn jede Regierung kann sich heraussuchen, welchen Schwerpunkt sie im Umgang mit China setzen will. Und da zeigt sich ein sehr heterogenes Bild innerhalb der EU. Die baltischen Staaten – allen voran Litauen – fahren einen dezidiert China-kritischen Kurs, weil sie es sich mangels wirtschaftlicher Verflechtung leisten können. Ebenso Schweden, weil es in den vergangenen Jahren einige unangenehme Erfahrungen mit China gemacht hat. Die Niederlande und Belgien sind inzwischen auch im Lager der Kritiker gelandet. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte sagte nach dem Gipfel: „The assertiveness of China on the world stage is increasing.“ Belgiens neue Außenministerin Hadja Lahbib stufte soeben in einem Le-Soir-Interview China gar als feindlichen Rivalen ein. Im Osten Europas ist der illiberale Demokrat Viktor Orbán der China-Versteher. Im Süden Europas zählen Griechenland und Portugal eher zu den gemäßigten Kräften. Und Frankreich und Deutschland versuchen in ihrer China-Politik den schwierigen Balanceakt zwischen Werten und Interessen, der meist zugunsten der wirtschaftlichen Interessen ausfällt. Eine gemeinsame China-Politik wird es deshalb so schnell nicht geben, aber nicht, weil China einen Keil zwischen die EU-Staaten treibt, sondern weil die EU-Staaten eben unterschiedliche Interessen haben.
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