Selten erfuhren deutsche Sinologen so viel Aufmerksamkeit in den Medien wie derzeit. Das liegt nicht nur an der viel diskutierten China-Strategie der Bundesregierung, am Erklärungsbedarf seit dem 20. Parteitag der KPCh oder den Protesten gegen die Null-Covid-Strategie in China. Die Sinologen machen auch selbst von sich reden. Sowohl in den klassischen als auch in den sozialen Medien ist ein Expertenstreit um die Rolle der deutschen Sinologie im Allgemeinen und ihrer Abhängigkeit von China im Besonderen entbrannt. Es stehen sich dabei zwei Lager gegenüber, deren einziger gemeinsamer Nenner die Beschäftigung mit China zu sein scheint.
Im englischen Nottingham befasst sich der Politikwissenschaftler, Soziologe und Sinologe Andreas Fulda kritisch mit der deutschen China-Forschung. In einer Studie und diversen Medien-Beiträgen behauptete er von einer Reihe deutscher Universitäten, dass sie Gelder aus China erhalten. Fulda und seine Mitstreiter (zum Beispiel der ehemalige GTZ/CIM Programmdirektor Ostasien, Horst Fabian, oder Mareike Ohlberg vom Global Marshall Fund) sprechen dabei von „Abhängigkeit“. Das klingt bedenklich, und so fühlten sich Vertreter der benannten Universitäten genötigt, auf die Vorwürfe zu reagieren. Ein FAZ-Artikel von Björn Alpermann (Lehrstuhl für Contemporary China Studies an der Uni Würzburg) und Gunter Schubert (Lehrstuhl für Greater China Studies am Asien Orient Institut der Uni Tübingen) setzte dann einen regelrechten Schlagabtausch in Gang. In der FAZ aber auch in den sozialen Medien positionieren sich seither China-Experten zur mal mehr, mal weniger sachlich vorgetragenen Kritik an der deutschen Sinologie. Inzwischen geht es gar namentlich gegen einzelne Sinologen, denen ein unkritischer Umgang mit China vorgeworfen wird.
In einer Vorabveröffentlichung unter dem Titel „Die jüngste Kontroverse um Zustand und Zukunft der deutschen China-Forschung – eine vorläufige Bilanz“ versuchen Björn Alpermann und Gunter Schubert nun den aktuellen Stand der Debatte zusammenzufassen.
Brauchen deutsche Universitäten Gelder aus China? Haben wir überhaupt eine Wahl? Und sind wir deshalb abhängig von China und quasi korrupt? Das sind wohlmöglich alles berechtigte Fragen. Fairerweise müsste man wohl auch fragen, ob die Sinologen anderenorts das wirklich so anders machen. Wie läuft es denn in den USA, Frankreich oder Großbritannien?
Die Universität Nottingham zum Beispiel wirbt auf der Seite ihres China-Campus in Ningbo mit den Worten: „The Ningbo campus opened in 2004 (…) and was the first Sino-foreign university to be established in China.“.
Hier stellt sich die Frage, wie Fuldas Universität dies auf die Beine stellen konnte, ohne in die Falle der Abhängigkeit von China zu geraten. Vielleicht hat man in Nottingham für den Campus in Ningbo auf chinesische Gelder verzichtet. Aber ist man dann im Rahmen eines solchen Projektes wirklich „unabhängig“ von China?
Auch französische Universitäten erhalten Gelder aus China und beherbergen die von China staatlich finanzierten Konfuzius-Institute in ihren Lokalitäten. In den USA sind Konfuzius-Institute höchst umstritten. Und doch gibt es sie an einigen Universitäten. Und wo es sie gibt, profitieren Universitäten und Studierende von chinesisch-finanziertem Sprachunterricht. Welche Rückschlüsse lässt das zu? Sind die Forscher solcher Universitäten reihum korrupt?
Die hitzig geführte Debatte in Deutschland sorgt jedenfalls für eine ideelle Spaltung der Sinologie in zwei grobe Lager. Die einen – eine kleine Minderheit – würden am liebsten jeden Kontakt zu China abbrechen, die anderen – die deutliche Mehrheit – bauen trotz allem auf universitäre und wissenschaftliche Beziehungen zu China. Die einen werfen Letzteren „unwissenschaftliches“ Arbeiten vor, die anderen sehen in den Vorwürfen ein neues „Kreuzrittertum“.
Wer sich mit China nicht intensiv beschäftigt, dürfte kaum in der Lage sein zu beurteilen, wer in der Sache Recht hat. Und selbst für Chinakundige ist das nicht einfach. Der Umgang mit China ist so komplex in seinen Anforderungen wie das Land selbst. Die Debatte in ihrer Kontroverse ist insofern wichtig. Nur erinnert der öffentliche Schlagabtausch mit seinen Schuldzuweisungen mitunter an den mittelalterlichen Marktplatz, auf dem jeder jeden anprangern kann.
Die persönliche Anklage, die an manchen Stellen durchscheint, schadet eher, als dass sie nützt. Und manche Wortwahl spielt mit den Ängsten vor Abhängigkeiten, wie sie erst Putins Überfall auf die Ukraine gerade in Deutschland häufig erzeugt hat.
Doch wer im Glashaus sitzt, soll bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Die ultimative Lösung für den Umgang mit China hat bisher niemand gefunden. An dem Punkt, an dem sich Wissenschaftler quasi täglich für ihre Haltung zu China rechtfertigen müssen, sind wir aber offenbar schon angelangt.
So ist wohl die Vorabveröffentlichung von Gunter Schubert und Björn Alpermann zu verstehen. Auf die Antwort werden wir nicht lang warten müssen. CHINAHIRN bleibt dran.
Info:
Zur Vorabveröffentlichung geht’s hier lang: http://asien.asienforschung.de/asien-preprint-162-163-zustand-und-zukunft-der-deutschen-chinaforschung/
Weitere Links zur Debatte finden sich am Ende des Vorabveröffentlichung
Zur Rolle der Konfuzius Institute in den USA : https://www.politico.com/news/magazine/2022/04/24/confucius-institutes-china-new-mexico-00027287