China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Gerhard Sabathil (69).
Gerhard Sabathil ist keiner dieser klassischen Old China Hands, die sich permanent mit China beschäftigt haben. Er ist eher ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten, wobei die asiatische Welt immer wieder eine bedeutende Rolle spielte. Vor allem die chinesische Welt fasziniert ihn, aber er hat sich dabei stets eine kritische Distanz zu dem dort herrschenden politischen System bewahrt.
Das Multikulturelle wurde dem im badischen Pforzheim geborenen Sabathil schon in die Wiege gelegt. Seine Vorfahren stammen aus jenem Gebiet, das früher mal Österreich-Ungarn hieß. Jedes Jahr verbrachte er als kleiner Junge die Sommerferien bei der Urgroßmutter in Ungarn. Dort machte er erstmals Bekanntschaft mit chinesischen Schriftzeichen, denn dort lagen ostdeutsche Comics über China herum. In der Schule schrieb er dann später ein Referat über die Kulturrevolution. „Ich war ein früher Bewunderer der Kultur und Geschichte Chinas“, sagt er heute. Damals – wir sind in den 70er Jahren – begann er schon Bücher über China (Gerd Ruge! Klaus Mehnert!) zu lesen und zu sammeln. Heute hat er eine stattliche China-Bibliothek in seiner Münchner Wohnung, wohin die Familie vor kurzem mit ihren gemeinsamen drei chinesischen Kindern zog.
Studiert hat Sabathil, der nicht wie viele damals maoistischen Träumen nachhing, Volkswirtschaftslehre an der LMU München. Er wurde Assi und promovierte. Sein Spezialgebiet: Verkehrswirtschaft. In diese Zeit – 1979 – fiel auch seine erste Reise nach China. Über Belgrad und Karatschi landete er in Beijing, um dort das rudimentäre Verkehrssystem Chinas zu studieren. Danach veröffentlichte er seine Erfahrungen im „Handelsblatt“ – den Artikel hat er heute noch in seinem Archiv – mit dem weitsichtigen Hinweis: „Wichtigste Herausforderung für Chinas Streckennetz ist die Öffnung nach Westen“. Sabathil blieb aber nicht in der Wissenschaft. 1982 fing er beim Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) in Bonn an, 1984 wechselte er nach Brüssel zur EU-Kommission. In seinen ersten Brüsseler Jahren besuchte er erstmals auch Taiwan, Südkorea und Japan. In der EU-Kommission kletterte er über viele Stufen die Karriereleiter nach oben. Ich will nur die wichtigsten nennen: Kabinett Karl-Heinz Narjes, Büroleiter Generaldirektion Haushalt, Gesandter in Prag und Bratislava, Referatsleiter Westliches Balkan, EU-Kommissionsbotschafter in Oslo/Reykjavik und Berlin. 2008 ging es zurück nach Brüssel, um die Direktion außenpolitische Strategie und Koordination zu leiten. 2012 wurde er dann innerhalb des neu geschaffenen Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) Direktor für Ostasien und Pazifik, zu der natürlich auch China zählte. In dieser Zeit nahm Sabathil an den jährlichen EU-China-Gipfel teil. „Ich habe allen chinesischen Spitzenpolitiker die Hand geschüttelt“, sagt Sabathil. In seine Zuständigkeiten fielen damals auch die verschiedenen Dialogformate mit China – den Menschenrechtsdialog und den Cyberdialog leitete er selbst, den ersten Rechtsstaatsdialog bereitete er vor. Besonders der Menschenrechtsdialog lag ihm am Herzen. „Immer wieder haben wir die Themen Ein-Kind-Politik, Organhandel und Hukou angesprochen“, sagt Sabathil. Bei allen dreien hat China in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Nur beim Thema Todesstrafe blockierte die chinesische Seite. Das sei schade, „denn ich habe ihnen immer versucht zu erklären, dass sie durch ein Moratorium bei der Todesstrafe beim Thema Softpower punkten könnten.“
2015 wechselte Sabathil als EU-Botschafter nach Südkorea. Damals kam er erstmals in den Verdacht, für einen gemeinsamen Aufsatz mit seiner chinesischen Lebensgefährtin, die Europa- und Menschenrechtsexpertin ist, ein als vertraulich deklariertes EU-Dokument über Chinas Umweltsituation geteilt zu haben. Das führte eineinhalb Jahre später dazu, dass der damalige Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen ihm die sogenannte Sicherheitsfreigabe verweigerte, wodurch er gewisse Dokumente nicht mehr einsehen durfte. Anfang 2017 ging Sabathil als Gastprofessor für die EU an die Sichuan Universität nach Chengdu und wechselte im Herbst 2017 als Geschäftsführer zu einer Politik- und Unternehmensberatungsfirma nach Berlin, wo der groß gewachsene Sabathil, der stets mit Fliege auftritt, seine exzellenten Kontakte in die europäische Politik nutzte und einbrachte.
Dann kam der 15. Januar 2020 die Hausdurchsuchung, das weltweite Anprangern als möglicher Spion, was nicht nur zum Jobverlust, sondern zu Schmähungen von allen Seiten führte. Die Anschuldigungen wurden wohl von den Geheimdiensten der sogenannten „Five-eyes-Staaten“ (USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland) lanciert. Sie basierten – so Sabathil – auf windigen „Beweisen“ und deutschen Ermittlungspannen. Sabathil fühlt sich als „Opfer der zyklischen deutschen China-Angst“, die sich derzeit nicht zwischen der Angst vor wirtschaftlicher Abhängigkeit oder Wohlstandsverlusten entscheiden könne.
Im November 2020 musste die Generalbundesanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens verkünden. Für Sabathil war das eine Genugtuung, aber noch lange nicht das Ende eines Alptraums. Wegen des Jobverlusts, der Rufschädigung und deren gesundheitlicher Folgen klagt er auf Schadenersatz. „Doch der Rechtsweg gegen den deutschen Staat ist eine Sackgasse“, sagt Sabathil, „man wird leicht zum Pingpong-Ball der obersten Bundesbehörden.“
Immerhin ist Sabathil ideell etwas entschädigt: Der erfahrene Spitzendiplomat wird zunehmend als Referent zu Asien, China und Europa gebucht, sogar von der Bundeswehr. Und dort sagt er dann auch Sätze, die derzeit nicht unbedingt common sense sind: „Taiwan militärisch anzugreifen, wäre völlig unchinesisch.“ Und: „Einem möglichen Wirtschaftskrieg mit Seeblockade hätte der Westen nichts entgegenzusetzen.“