KULTUR I Der späte Erfolg der Autorin Yang Benfen – Autobiographie einer chinesischen Ehe / Von Imke Vidal

In der letzten Ausgabe berichtete CHINAHIRN über den Erfolg zweier Autorinnen, deren Bücher auf Douban zu den besten Büchern des Jahres 2022 gekürt wurden. Dabei hatten wir bereits eine der beiden Schriftstellerinnen vorgestellt. Nun möchten wir Ihnen die Gelegenheit geben, mehr über Yang Benfen (杨本芬) zu erfahren. Eine über Achtzigjährige, die nach einer schwierigen Ehe ihren späten Erfolg als Schriftstellerin feiert.

Eigentlich ist es keine Überraschung, dass es ein Buch der Autorin Yang Benfen auf die Leseliste bei Douban schaffte. Immerhin ist es bereits ihr dritter Erfolgsroman, der hier das Rennen machte. Schon 2021 hatte ein Buch von Yang Benfen Bestbewertungen bei Douban erhalten. Sie ist in China längst keine Unbekannte mehr. Und doch ist es erstaunlich, dass es die Autorin ausgerechnet mit diesem Buch unter die Topempfehlungen auf Douban schaffte. Beide nämlich, die Schriftstellerin und ihr Werk, sind Kinder einer denkbar anderen Zeit.

Als Yang mit dem Schreiben begann, tat sie dies in einer winzigen chinesischen Küche, so klein, dass es nicht einmal Platz für einen Tisch gab. Sie setzte sich auf einen kleinen Hocker und begann zu schreiben. Zwischen Herd und Spüle. Mit Stift und Papier. Wie vor hundert Jahren. Sie füllte die Seiten mit 100 000 Worten und hatte eine Geschichte geschrieben, die in die kleine Küche passte und gleichzeitig in die weite Welt gehörte. Es war die Geschichte ihrer Mutter, die die damals Sechzigjährige als Roman aufschrieb, nicht um ihn zu publizieren, sondern damit etwas von ihrer Mutter bliebe. Es war ein Roman und gleichzeitig ein Zeitzeugnis: die Erzählung über eine einfache Frau mit einem einfachen Leben. Yang hatte als Tochter beobachtet, wie stark ihre Mutter ein Leben lang sein musste und was sie leistete in einer Zeit, die wenig zimperlich mit Frauen umging. Das scheint Yang Benfen geprägt zu haben. Und während sie selbst ebenfalls ein einfaches Leben führte und als Frau Stärke zeigen musste, schuf sie sich zwischen Kochtopf und Abwasch irgendwie den Platz, um zu einer großen Autorin zu werden.  

Die Tochter der Autorin veröffentlichte schließlich 2009 die Geschichte, ganz zeitgemäß online. Es sollte dennoch ein Jahrzehnt dauern, bis ein Verleger darauf aufmerksam wurde. Als schließlich auch das Buch erschien, war Yang Benfen bereits Anfang 80, was ihr in China den Kosenamen „Oma-Autorin“ einbrachte. Dabei schrieb sie schon 2007 ihr erstes Buch und hörte nie auf zu schreiben. Das erklärt, warum sie seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches in relativ kurzer Zeit zwei weitere Werke nachlegen konnte (2021 und 2022).

Die Autorin lernte erst in ihren Achtzigern, wie man einen Computer bedient. Inzwischen schreibt sie nicht mehr von Hand. Chinesischen Medienberichten zufolge arbeitet sie bereits an einem weiteren Buch. Wenn es im altbewährten Tempo weitergeht, dürfte das dann dieses Jahr erscheinen.

Sicher gibt es derzeit in China einen Lesetrend, der Frauengeschichten viel Beachtung schenkt. Feministische Themen sind von großem Interesse für viele Frauen – und hoffentlich auch für Männer. Yang Benfens Bücher aber passen trotzdem nicht so richtig in die Zeit. Die Leserkommentare zeigen: Ihre Geschichten sind keine schönen modernen Märchen. Es geht nicht um die neuen Heldinnen, die sich ihren Platz in der Gesellschaft erobern. „Das ist ein schweres und deprimierendes Buch über das Leben von Frauen“, heißt es beispielsweise in einem Douban-Kommentar. An anderer Stelle schreibt eine Leserin: „Die Lektüre [dieses Buches] machte mich sprachlos, wütend und ziemlich traurig.“ Dennoch vergaben beide Kommentatoren fast die volle Punktzahl (4 von 5 bzw. 5 von 5 Sternen). Irgendetwas an dieser Tristesse muss sie also überzeugt haben. Die Vermutung liegt nahe, dass sie ihre eigenen Familiengeschichten in den Büchern wiederfinden. Vielleicht die Ehe der Großmutter? Auch in Yangs drittem Buch geht es wieder um die Geschichte einer Ehe. Obwohl die Protagonisten des Buches andere Namen tragen, handelt es sich hier um Yang Benfens eigene, unglückliche Ehe, die sie in dem Buch „Wo Ben Fenfen“ (我本芬芬), zu Deutsch in etwa „Ich bin erfüllt von Duft“, aufgeschrieben hat. Um ein optimistisches Bild geht es auch hier nicht. Ein Happy End ist nicht abzusehen. Aber die Autobiographie dieser Ehe ist die Biographie vieler chinesischer Ehen aus dieser Zeit. Sie spricht offenbar auch jüngere Leser an.

Info:

Ein englischsprachiger Interviewartikel über Yang Benfen erschien bei Xinhua: https://english.news.cn/20220502/8c9e1c8d6d82461ba30b478619a940a5/c.html

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