China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Sabine Stricker-Kellerer (67).
Der inzwischen legendäre Jerome A. Cohen war der erste amerikanische Jurist, der nach der Kulturrevolution in China einreisen durfte und dessen Rat bei Behörden und Unternehmen gefragt war. Im Herbst 1980 tauchte in seinem Büro eine junge deutsche Referendarin auf: Sabine Stricker. Sie hatte an der LMU München Jura und nebenbei etwas Sinologie studiert, machte gerade ihr Referendariat und wollte ihre dreimonatige Wahlstation in China verbringen.
Wie kommt man 1980 auf die Idee, als Juristin nach China zu gehen? „Intellektuelle Neugier“, sagt sie. Hinzu kam das Gespür, dass sich in China etwas entwickeln könnte, zumal damals gerade das erste Joint-Venture-Gesetz verabschiedet wurde. Nach der Rückkehr aus Beijing schloss sie ihr Referendariat und das zweite Staatsexamen ab. Die Neugier auf China war geblieben, aber auch die Erkenntnis, dass sie ihr juristisches China-Wissen vertiefen musste. Sie ging ein Jahr nach Harvard und machte dort ihrern Master in chiensischem Recht – übrigens auch wieder bei Jerome A. Cohen. . Mit diesem Wissen heuerte sie 1983 bei der Kanzlei Pünder Volhard in Frankfurt an. 1985 drängte sie die Partner als erste europäische Kanzlei ein Büro in China zu eröffnen. Sechs Jahre leitete sie das Büro in Beijing. Es war die erste Boom-Phase des deutschen China-Engagements. „Vor allem die deutschen Anlagenbauer machten erste große Geschäfte“, erinnert sich Sabine Stricker-Kellerer. Die ersten RepOffices wurden eröffnet, die ersten Joint-Ventures entstanden. 1991 ging sie aus privaten Gründen nach Deutschland zurück und leitete den China Desk von Pünder Volhard, die später in der britischen Großkanzlei Clifford Chance aufging. 2003 dann der Wechsel von Clifford Chance zu Freshfields. Die Tätigkeit blieb die gleiche, der Ort auch – München. In ihrer Heimatstadt machte sie sich dann 2017 selbständig. Der Name ihres Ein-Frau-Büros: SSK Asia. SSK steht – wie sollte es anders sein – für Sabine Stricker-Kellerer.
Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland Anfang der 90er Jahre hat sie sich einen strapaziösen Rhythmus auferlegt. Im Schnitt fliegt sie alle fünf Wochen nach China und bleibt dort meist für eine Woche. Beijing ist dabei ihre Basisstation. Auch wenn vieles als Routine erscheint, ihre Aufgaben haben sich im Laufe der Jahre deutlich verändert. „Meine Arbeit ist viel strategischer geworden“, sagt sie. Sie berät deutsche Unternehmen bei der Strukturierung ihres China-Geschäfts, das ja bei vielen Unternehmen inzwischen aus mehreren Töchtern und Joint-Ventures besteht. In diesen Zeiten gehöre auch viel Risikoanalyse zu ihrer Arbeit: „Es ist viel Troubleshooting.“ Als Ausgleich dazu hat sie sich in den vergangenen Jahren verstärkt der Schiedsgerichtsbarkeit gewidmet. Inzwischen mache diese Arbeit, bei der es zwischen chinesischen und deutschen Partnern zu schlichten gilt, fast die Hälfte ihrer Arbeit aus.
Mandanten akquirieren muss Sabine Stricker-Kellerer längst nicht mehr. Sie hat über die Jahrzehnte ein exzellentes Netzwerk aufgebaut. In der deutschen Wirtschaft kennt man sie, ob in Konzernen oder im Mittelstand – und zwar quer durch alle Branchen. Und auch im politischen Raum ist sie präsent. Man sieht sie häufig in Berlin, mal öffentlich bei Moderationen und Diskussionen, mal diskret im Hintergrund. Sie war lange Zeit Vorsitzende des Außenwirtschaftsbeirats im Bundeswirtschaftsministerium. Beim Mercator Institute for China Studies (Merics) sitzt sie im Kuratorium, beim Ostasiatischen Verein (OAV) in Hamburg ist sie im Vorstand. Als im Juli vergangenen Jahres Außenministerin Annalena Baerbock die China-Strategie in den Räumen von Merics vorstellte, saß sie mit ihr in der anschließenden kleinen Diskussionsrunde. Zwei Monate später wurde sie von Baerbock als deutsche Co-Vorsitzende des Deutsch-Chinesischen Dialogforums ernannt. Mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war sie Ende Januar auf Südost-Asien-Reise nach Vietnam und Thailand. „Ich muss das Investitionsumfeld Chinas kennen“, sagt sie zur Erklärung.
Wie es zu diesen Engagements kam?„In den politischen Raum bin ich aus Neugier hineingeschliddert“. Da ist sie wieder – die Neugier. So wie damals 1979. Die intellektuelle Neugier war und ist die Wegbegleiterin ihrer erstklassigen Karriere, die allerdings auf einem vermeintlich unbedeutenden Nebenschauplatz keine Fortsetzung findet: Ihr Lieblingsfußballverein 1860 München ist nur drittklassig.
Info:
Hier die Webseite von Sabine Stricker-Kellerer: https://ssk-asia.com/