Die chinesischen Überkapazitäten sind derzeit das große Thema. Der Vorwurf lautet: China produziere zu viel, überschwemme die Märkte und schädige (bewusst) die Industrien anderer Länder. Fragen wir doch einmal einen Volkswirt, der zudem auch viel China-Erfahrung hat, ob denn dieser Vorwurf berechtigt ist. Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance and Management und Co-Vorsitzender des dort ansässigen Sino-German Centers e.V. Er lebte von 2003 bis 2011 in Shanghai, wo er unter anderem an der CEIBS unterrichtete.
Herr Löchel, was sind Überkapazitäten?
Überkapazitäten entstehen, wenn im Inland mehr produziert wird als verkauft wird. Man kann auf diese Entwicklung zweifach reagieren: Entweder die Unternehmen schränken ihre Produktionskapazitäten ein – oder sie versuchen, ihre Überkapazitäten im Ausland zu verkaufen, also zu exportieren.
Damit sind Überkapazitäten nichts anderes als Exporte?
Ja, jeder Export ist eine Überkapazität, wenn man so will. Diese banale Erkenntnis scheint einigen in Europa abhandengekommen zu sein. Dabei lernt man das schon im ersten Semester. Deutschland produziert seit Jahren mehr als es konsumiert und war deshalb jahrelang sogar Exportweltmeister. Unser Wohlstand basiert auf diesem Exportmodell, auf das wir ja auch zurecht stolz waren und sind. Nur: Wenn wir das machen, nennt man es Exporte. Wenn es die Chinesen machen, sind es Überkapazitäten – ein Begriff, der negativ besetzt ist. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht Dasselbe.
Aber sind die deutschen Exporte und chinesischen Überkapazitäten wirklich das Gleiche? Im Gegensatz zu unseren Exporten sind Chinas Exporte oft staatlich subventioniert und damit wettbewerbsverzerrend?
Selbstverständlich subventioniert China seine Industrie, das ist gewissermaßen die DNA des dortigen Staatskapitalismus. Aber auch die EU und die USA haben in den vergangenen Jahren ihre Subventionen sehr stark erhöht, wie unter anderem der Internationale Währungsfonds (IWF) festgestellt hat. Ich verweise auf den amerikanischen „Inflation Reduction Act“ und den europäischen „Net Zero Industry Act“. Von den europäischen Agar-Subventionen will ich erst gar nicht reden.
Die EU-Kommission glaubt trotzdem im Recht zu sein und will chinesische Elektroautos mit Strafzöllen belegen. Berechtigt?
Es ist nicht verwerflich, die grüne Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Das tun die Chinesen, aber wir tun es ja auch. Wenn wir günstige chinesische Autos in Europa durch Zölle verteuern, werden hier weniger E-Autos verkauft und wir verlangsamen dadurch die grüne Transformation. Außerdem provozieren wir möglicherweise einen Handelskrieg mit China, der gerade für Deutschland verheerend wäre. Der sich abzeichnende Protektionismus der EU ist deshalb der falsche Weg.
Und was wäre der richtige Weg?
Wir müssen die Wettbewerbs- und Innovationskraft der europäischen Unternehmen stärken. Warum können denn europäische Autobauer bei E-Autos oft mit den in China produzierten E-Autos nicht mithalten? Weil sie Schwierigkeiten haben, das technologische Tempo der Chinesen mitzugehen. Das gilt auch für andere Branchen. Wir müssen besser und schneller werden statt als Überkapazitäten bezeichnete Exporte zu bekämpfen.