Vom 9. bis 11 Juli wird in Washington Geburtstag gefeiert. Die NATO wird 75 Jahre alt. Dazu reisen fast alle Regierungschefs der 32 NATO-Mitgliedsstaaten an. Es wird wohl ein Gipfel der Harmonie werden, zumal auch die Nachfolge von Generalsekretär Jens Stoltenberg im Vorfeld dann doch relativ geräuschlos geklärt wurde. Mit Mark Rutte, dem ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten, tritt wieder ein Transatlantiker dieses Amt an. Doch seine Amtszeit, die am 1. November beginnt, wird von großen Themen begleitet werden: dem nicht enden wollenden Ukraine-Krieg, dem möglichen Sieg eines erratischen NATO-kritischen Donald Trump – und dem Engagement der NATO in Fernost. Zwar stehen die vier Buchstaben für North Atlantic Treaty Organization, aber das Militärbündnis hat neben dem Atlantik zunehmend auch den Pazifik im Visier. Hintergrund dieser Neu-Orientierung ist der Konflikt zwischen den USA und China, das inzwischen im Westen als systemischer Rivale eingestuft wird.
So hat die NATO in den vergangenen Jahren den Ton gegenüber China deutlich verschärft. Das fing auf dem Londoner Gipfel 2019 an. In der London Declaration wurde China zum ersten Mal in einem offiziellen Statement der NATO noch relativ harmlos erwähnt: „China’s growing influence and international policies present both opportunities and challenges“ for the alliance. Im Communiqué nach dem Brüsseler Gipfel 2021 wurde die Nato deutlicher: „China’s ambitions and assertive behavior to the rules-based international order and to areas relevant to Alliance security”. Beim Madrider Gipfel 2022 wurde dann das neue Strategic Concept verabschiedet. In dem 16seitigen Papier wird China prominent und ausführlich erwähnt und als „systemischer Herausforderer“ eingestuft.
Aber was bedeuten diese verbalen Bekundungen für die konkrete Politik der NATO? Wird sie sich Richtung Fernost ausdehnen? Oder wird sie ihre pazifischen Partner ermutigen, sich enger zu binden?
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gab es immer wieder Versuche eine pazifische NATO zu gründen. Das fing 1949 mit dem Pacific Pact an. Er bestand aus Südkorea, Taiwan und den Philippinen, hatte aber nicht den Segen der USA. Zu Beginn des Koreakrieges waren es aber dann die USA, die einen Pacific Ocean Pact wollten. Aber diesmal wollten Australien, Neuseeland und Japan nicht mitmachen. Schließlich dann der Versuch einer SEATO (Southeast Asian Treaty Organization). Ihr Manko: Nur zwei südostasiatische Staaten waren dabei: Die Philippinen und Thailand. Und es gab auch keinen Artikel 5 wie bei der NATO, also eine Beistandsverpflichtung im Falle eines Angriffs. Nein, eine pazifische NATO wird es nicht geben. Zu unterschiedlich sind die Interessen vor allem der südostasiatischen Staaten.
Aber, was es geben wird und zum Teil schon gibt, sind Zweckbündnisse einiger Staaten im indo-pazifischen Raum. Quad (USA, Japan, Indien, Australien) und AUKUS (Australien, Großbritannien und USA) sind entsprechende Beispiele. Vor allem die USA versuchen, solche Bündnisse zu schmieden. So gelang der Biden-Administration dieses Jahr eine Annäherung zwischen Japan und Südkorea sowie eine stärkere Einbeziehung der Philippinen, die sich wieder verstärkt den USA zuwenden.
Die NATO versucht, die demokratischen Staaten der Region einzubinden. Im 2002 verabschiedeten Strategic Concept blieb man allgemein: „We will increase outreach to countries in our broader neighbourhood and across the globe and remain open to engagement with any country or organization, when doing so could bolster our mutual security.” Aber im Pazifik hat die NATO bereits vier Partnerländer: Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea, die sogenannten Asia-Pacific Four (AP4). Sie nahmen zum ersten Mal beim Madrider Gipfel 2022 teil. Auch ein Jahr später beim Summit in Vilnius war dieses Quartett dabei.
Der scheidende Generalsekretär Jens Stoltenberg engagierte sich stark in Asien. Sowohl im Januar als auch Juli 2023 war er zu Gesprächen mit Japans Premier Fumio Kishida in Tokio. Im gemeinsamen Kommuniqué hieß es: „The security of the Euro-Atlantic and of the Indo-Pacific is closely connected.” Das kann man als ein stärkeres Engagement der NATO in Fernost interpretieren. Dazu passt, dass Teile des Nordatlantischen Bündnisses auch damit liebäugeln, in Tokio ein Büro zu eröffnen. Aber noch sträubt sich vor allem Frankreich gegen diesen Schritt.
Info:
Hier ein paar aktuelle Beiträge zur Rolle der NATO in Fernost:
David Sacks (CFR) diskutiert „Does NATO Have a Role in Asia?“: https://www.cfr.org/expert-brief/does-nato-have-role-asia?utm_source=twtw&utm_medium=email&utm_campaign=TWTW2024May31&utm_term=TWTW%20and%20All%20Staff%20as%20of%207-9-20
Connor Fiddler schreibt in Asia Times „Don’t Expect an Indo-Pacific NATO anytime soon”: https://asiatimes.com/2024/06/dont-expect-an-indo-pacific-nato-anytime-soon/
Matti Puranen widmet sich in The Diplomat “China’s NATO Anxiety”: https://thediplomat.com/2024/05/chinas-nato-anxiety/
Mathieu Droin, Kelly A. Grieco und Happymon Jacob erklären in Foreign Affairs “Whay NATO Should Stay Out of Asia”: https://www.foreignaffairs.com/world/why-nato-should-stay-out-asia?utm_medium=newsletters&utm_source=fatoday&utm_campaign=A%20Better%20Path%20for%20Ukraine%20and%20NATO&utm_content=20240708&utm_term=EDZZZ003ZX