Endlich steht das Datum fest: Vom 15. bis 18. Juli wird das Dritte Plenum des 20. Zentralkomitees in Beijing tagen. Lange Zeit wurde daraus ein Geheimnis gemacht. Zuerst wurde gerätselt, warum es nicht – wie üblich – im Herbst, ein Jahr nach dem Parteitag stattfindet. Dann sickerte durch, dass es im Juli tagen wird, aber kein genaues Datum wurde genannt. Doch am 27. Juni verkündete das Politbüro endlich das Datum, an dem sich die über 300 Delegierten in einem staatlichen Hotel im Nordwesten Beijings treffen werden.
Warum ist dieses Dritte Plenum so wichtig? Zur Beantwortung der Frage muss man kurz in die Struktur der KP eintauchen. Zwischen den alle fünf Jahre stattfindenden Parteitagen tagt mehrmals das Zentralkomitee der Partei. Diese Sitzungen – Plenum genannt – werden durchnummeriert. Jedes Plenum widmet sich dabei einem Thema. Das Erste und Zweite Plenum beschäftigen sich in der Regel mit den Aufgaben der neuen Führung und mit Personalfragen. Das Dritte Plenum hat zentrale wirtschaftspolitische Fragen zum Thema. Die chinesische Global Times stuft das Dritte Plenum als „one of the most important events in China’s political agenda” ein.
In den Wochen zuvor wird im In- wie Ausland kräftig spekuliert, welche Themen wohl auf der Tagesordnung stehen, ob Reformen angestoßen werden oder zumindest Reförmchen. Vor allem die ausländischen Beobachter sind zurückhaltend-skeptisch. Jörg Wuttke, der ehemalige europäische Kammerpräsident, sagte gegenüber der NZZ: „Das ist das erste Dritte Plenum, das keine großen Erwartungen ausgelöst hat.“ Damien Ma vom US.-Thinktank Macro Polo urteilt: „The Plenum will be strong on vibes and short on details and specifies”. Bloomberg vermeldet „low expectations by investors.“ Das Schweizer Beratungsunternehmen China Macro Group (CMG) schreibt: „We don´t expect any drastic breakthroughs or policy shifts.” Die Führung werde ihren “gradualist approach” weiterverfolgen.
Interessant und durchaus kontrovers ist die Diskussion innerhalb Chinas akademischer Welt, die der Newsletter Pekingnology in seiner Serie „What to Expect from the 3rd Plenum“ wiedergibt. Yao Yang, Wirtschaftsprofessor an der Peking University (Beida), sagte bei einer Rede am 23. Juni in Shanghai: „Many people have high expectations for the Third Plenum, anticipating another wave of reforms. These are merely wishful assumptions.” Für ihn sind die Zeiten der Reformen vorbei: “The significant reforms in China were largely completed in the 1990s.“ Reformen erwarten hingegen Daokui Li (Wirtschaftsprofessor an der Tsinghua Universität) und Zhang Bin (Stellvertretender Generaldirektor des Institute of World Economics and Politics der CASS). Liu sagte am 7. Juni bei einem Luncheon im Center for China and Globalization (CCG): „I’m sure major policies and major policy directions will be announced.” Er ist überzeugt, dass die Führung erkannt hat, den Konsum anzukurbeln (China hat im Vergleich zu vielen anderen Staaten eine niedrige Konsumrate). Li: „The next round of reforms will generate consumption and generate disposible income for people on the street.” Mit den Menschen auf der Straße sind vor allem die 180 Millionen Wanderarbeiter gemeint. Ihnen zu helfen, hat auch Zhang Bin vorgeschlagen. In einem Artikel für Study Times (Organ der Zentralen Parteischule) ist eine seiner Forderungen für das dritte Plenum: „Helping Migrant Workers Settled in Cities to Promote Social Equity“. Es wird erwartet, dass auf dem Plenum eine Reform des Hukou-Meldesystems beschlossen wird, damit die Wanderarbeiter unter anderem auch in den Genuss von Sozialleistungen kommen.
Mit einer weiteren Reform ist ebenfalls zu rechnen: einer Steuerreform. Das chinesische Steuersystem hat mehrere Schieflagen. Zum einen dominieren die Konsum-hemmenden indirekten Steuern (Verbrauchs- und Mehrwertsteuer) gegenüber den direkten Steuern (Einkommenssteuer). Während zum Beispiel in den OECD-Ländern direkte Steuern 33 Prozent des Steueraufkommens ausmachen, sind es in China nur neun Prozent. Zum anderen landet ein Großteil der Steuereinnahmen in den Kassen des Zentralstaates, während die Provinzen und Kommunen zum Beispiel die Ausgaben für Infrastruktur tätigen müssen und deshalb auch hoch verschuldet sind. Dass eine Steuerreform in der Pipeline ist, haben führende Köpfe bereits angedeutet. Finanzminister Lan Fo’an hat schon im März in Qiushi, dem Theorieblatt der KP, eine Reformagenda angekündigt. Und auch Xi Jinping hat in seiner Rede bei der Central Economic Working Conference (CEWC) im Dezember eine Steuerreform angemahnt.
Ob sie am Ende des Dritten Plenums verkündet wird, bleibt unklar – wie so vieles rund um das Dritte Plenum.
Info:
Rede von Yao Yang in Shanghai: https://www.pekingnology.com/p/3rd-plenum-pulse-what-to-expect-4?utm_source=post-email-title&publication_id=47580&post_id=145985834&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=1cv&triedRedirect=true&utm_medium=email
Rede von Daokui Li in Beijing: https://www.pekingnology.com/p/3rd-plenum-pulse-what-to-expect-2?utm_source=post-email-title&publication_id=47580&post_id=145664977&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=1cv&triedRedirect=true&utm_medium=email
Artikel von Zhang Bin in Study Times: https://www.pekingnology.com/p/3rd-plenum-pulse-what-to-expect-5?utm_source=post-email-title&publication_id=47580&post_id=146018775&utm_campaign=email-post-title&isFreemail=true&r=1cv&triedRedirect=true&utm_medium=email
Hier ein paar ausgewählte Artikel und ein Podcast zum bevorstehenden Dritten Plenum:
Charles Parton: https://www.geostrategy.org.uk/app/uploads/2024/06/GSPE03.Chinas-2024-Third-Plenum.pdf
Sourabh Gupta: https://eastasiaforum.org/2024/06/28/plenum-priorities-that-could-reshape-chinas-economic-future/
Seong-Hyon LLee/Barrons : https://www.barrons.com/articles/china-third-plenum-economy-xi-property-growth-61282d9b
Podcast von Kristin Shi-Kupfer und Katja Drinhausen: https://merics.org/de/podcast/das-dritte-plenum-und-debatten-ueber-chinas-wirtschaft-mit-kristin-shi-kupfer-und-katja