Wan Hua Zhen (I) I Trump 2.0 – die Kolumne von Liu Zhengrong

Im März 2021 schrieb Thomas L. Friedman, der mehrfach mit dem Pulitzerpreis gekrönte Kolumnist der New York Times, einen Meinungsartikel ebenda mit dem Titel „China Doesn’t Respect Us Anymore — for Good Reason“. Nur wer Friedman noch nie gelesen hat, würde dahinter wieder einen Freund der KP vermuten. Nein, nicht Thomas L. Friedman. Schon der Untertitel macht klar, worauf er eigentlich zielen wollte: „We’ve stopped following our formula for success.“Später machte er es noch einmal deutlich: „Actually, I am not interested in China. I care about America.“

Friedman stimmte damit in eine These ein, die zwar bekannt ist, aber oft zu wenig beachtet wird: Das amerikanische (stellvertretend für das westliche) System hat ein Ergebnisdefizit. Es müsste mehr für die eigene Bevölkerung liefern, auch um sich mehr Respekt auf der Welt zu verschaffen – Anerkennung auch von China. „Wir müssen zu unserem Erfolgsrezept zurückkehren und es gar verdoppeln”, schrieb Friedman. Er zählte auf, was alles dazu gehört: bessere Bildungsstandards sowie berufliche Qualifizierung, erstklassige Infrastruktur, um weiter der größte Magnet für die besten Talente aus der ganzen Welt zu sein. Na gut, könnte man meinen. Diese Art von Forderungen kennt man in Deutschland auch schon lange. Was richtig ist, kann nie häufig genug wiederholt werden – solange parallel genug für deren Umsetzung getan wird. Sonst bleiben chronische Enttäuschungen zurück. 

Friedman lobte damals schon im Vorgriff auf den Inflation Reduction Act (IRA), der als Gesetz ein Jahr später in Kraft trat, Bidens Industriepolitik: „President Biden is talking about spending trillions!“ Große Vorfreude, mit Ausrufezeichen.

Nun, mehr als drei Jahre später ist Donald J. Trump, sicher zum Verdruss Friedmans, wieder auf dem Vormarsch, und das nicht erst seit dem versuchten Attentat in Pennsylvania. Friedman ist nicht allein. Ungefähr die Hälfte der amerikanischen Wählerschaft – nur das Mehrheitswahlrecht lässt sie kleiner erscheinen als sie ist – leidet so wie Friedman. Denn eine zweite Trump Administration würde die Vereinigten Staaten weitaus stärker von „amerikanischen Idealen“ à la Friedman wegtreiben, als es unter Trump 1.0 schon geschehen war.

Was war schiefgelaufen? Dafür gab es fast zu viele Gründe. Einer davon jedoch wurde selten angesprochen: Chinesische Industriepolitik in einen freiheitlich-liberalen Ordnungsrahmen zu verpflanzen ist zum Scheitern verurteilt –  Bidens IRA sollte auf diese Weise ein großer Wurf werden. Aber selbst in China hinterließen die staatlichen Lenkungen kritische Fragen, dabei profitiert das Land immerhin von dem langen Planungshorizont des Staates, der oft eine Dekade oder mehr beträgt. In den USA dagegen sind es praktisch weniger als zwei Jahre. Denn die Zwischenwahlen des Kongresses sind nun mal mitentscheidend für die Durchsetzungsfähigkeit der Exekutive. Wenn die Politik also ungeachtet der systeminhärenten Kurzatmigkeit massiv in die Wirtschaft eingreift, dann tun sich große Diskrepanzen auf zwischen Worten und Taten, trotz bester Absichten. Investitionen in Bildung tragen ihre Früchte mehrere Wahlperioden später, frühestens. Investitionen in Infrastruktur tangieren unzählige Partikularinteressen und provozieren massive und zuweilen chaotische Widerstände. Also wird über beides stets mehr geredet als gehandelt.

„Politisch attraktiver“ sind die Strafzölle und Subventionen. Strafzölle, weil sie kurzfristig die Entschlossenheit des Handels öffentlichkeitswirksam demonstrieren; Subventionen, weil die Politik sich des Jubels aller Empfänger sicher sein kann, zumindest fürs Erste.

Genauso fügte sich auch die Biden-Administration dieser Gesetzmäßigkeit und setzte vieles, was Bidens Vorgänger angefangen hatte, einfach fort. Die Strategie hat nur zwei Probleme: Erstens, Zölle und Subventionen verbessern das tägliche Leben der großen Wählerschaft im ganzen Land NICHT. Zweitens, warum sollte man für die Kopie stimmen, wenn das Original auch zur Wahl stünde …

„Gute Ideen – Menschenrechte, Demokratie, freie Märkte …  – gewinnen in der Welt nicht deshalb, nur weil sie gute Ideen sind. Sie verbreiten sich und werden angenommen, wenn andere sehen, dass sie in den Ländern, die sie praktizieren, Gerechtigkeit, Wohlstand, Chancen und Stabilität schaffen.“ So wahr dieser Friedman-Satz auch ist, so nüchtern ist die amerikanische Wirklichkeit heute, nach dreieinhalb Biden-Jahren. Eine mögliche Trump-Regierung würde zudem den richtigen Teil der Biden-Politik, nämlich die grüne Transformation, wieder abschaffen. Damit wäre das Scheitern der Bidenomics perfekt.

Also: „Has China won?“ – eine Frage geliehen von Kishore Mahbubani’s gleichlautendem Buchtitel. („Es kommt darauf an …“, entgegnet der Altmeister. Natürlich.) Nein, Fakt ist: Seit 2021, etwa um die Zeit, als Friedman seinen Artikel veröffentlichte, wachsen auch in China die Bäume nicht mehr in den Himmel. Während die USA gesellschaftlich zutiefst gespalten sind, warnte der langjährige China-Kenner Jörg Wuttke schon vor einiger Zeit: „China droht am Selbstlob zu scheitern“. Auch Friedman schrieb schon 2021: „A haughty spirit goes before a fall“, also Hochmut vor dem Fall.

Übertriebenes Selbstlob ist ein klares Zeichen von tiefsitzender Unsicherheit. China steht vor der mutmaßlich größten Transformation des chinesischen Wirtschaftssystems seit 1978. Das verändert wiederum die Psychologie der Bevölkerung. Die Leichtigkeit ist längst verflogen. Nach den Wirtschaftsdaten des zweiten Quartals schrieb jemand im Netz: 4,7 Prozent Wachstum ist per se höher als in Europa und den USA, aber das reale Empfinden der Marktteilnehmer in China ist ein anderes, „es friert“ (“市场感觉寒气逼人”).

Zwei aus unterschiedlichen Gründen angeschlagene Giganten der Weltpolitik und der Weltwirtschaft stolpern also einem Trump 2.0 entgegen. In China jedenfalls rechnen augenscheinlich alle mit einem Trump-Sieg im November. Feine Übersetzungen von Kommentaren zum republikanischen „Projekt 2025“ findet man mit einem Klick in Chinas Sozialmedien. „China“ taucht in dem 900-Seiten starken „Project 2025“-Dokument knapp 500mal auf, die üppigen Fußnoten mitgezählt. Zum Vergleich: „European Union“ 15mal; „Germany“ viermal. 

Noch mehr chinesische Analysen beschäftigten sich nach dem Attentat-Wochenende mit dem republikanischen Wahlprogramm „2024 Republican Party Platform“. „Bitte unbedingt auf Punkt 8 achten“, schrieben Kommentatoren übereinstimmend auf Caixin, Sina und anderen Portalen. In den insgesamt „20 Wahlversprechen der Republikanischen Partei gegenüber der amerikanischen Bevölkerung“ liest sich der achte Punkt wie folgt: „Prevent World War Three. Restore Peace in Europe and in the Middle East. And build a great Iron Dome Missile Defense Shield over our entire country – All made in America.”

„Trump will amerikanische Waffen und Streitkräfte rasch aus Europa und dem Nahen Osten zurückziehen, um sie auf Taiwan und im Südchinesischen Meer zu konzentrieren“, interpretierte die Mehrzahl der Analysen. Eine Minderheit meinte dagegen, die Musik spiele eigentlich im ersten Satz: „Trump will Deals machen, keinen echten Krieg, schon gar nicht mit amerikanischen Soldaten.“

Übrigens: “What would Europe do if Donald Trump were re-elected next year?” fragte The Economist im Juli 2023.  Das war schon damals eine sehr kluge Frage. Heute ist sie zu einer essenziellen Frage avanciert. 

Info:

Mehr Informationen über Liu Zhengrong und seine Kolumne Wan Hua Zhen gibt es hier: https://www.chinahirn.de/2024/07/08/was-bedeutet-wan-hua-zhen-der-kolumnist-erklaert-und-stellt-sich-vor/

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