Schwaben in Prenzlauer Berg. Ein heißes Thema. Andreas Schmid (69) ist sicher kein Spekulant, er hat nur den richtigen Riecher gehabt, als er schon vor Jahren dort zusammen mit anderen Künstlerkollegen ein Haus gekauft hat, das den Spekulanten damals zu klein und kaputt erschien. Unten hat er sein Atelier, bei dem gerade Tür- und Fensterrahmen gestrichen werden. Oben auf der dritten Etage wohnt er. Dort sitzen wir am Küchentisch bei Butterbrezeln und Kaffee. Er erzählt, wie er, der in Bad Cannstatt Geborene und in Leonberg Aufgewachsene zu dem wurde, was er seit Jahrzehnten ist: Einer der besten Kenner zeitgenössischer Kunst aus China.
Im Elternhaus – Vater und Mutter waren Mediziner – spielte Kultur eine wichtige Rolle. Aber eher die Musik, nicht die Bildende Kunst. Er hingegen malte und zeichnete gerne. Aber auch sein Großvater hatte Einfluss auf ihn. Er lebte von 1903 bis 1931 als Missionar in Hongkong und Guangzhou, sprach deswegen Kantonesisch und Hakka. „China war immer in meinem Hirn“, sagt Schmid. Auch im Studium, das er zwischen 1974 und 1981 an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart absolvierte. Während dieser Zeit entdeckte er auch sein Interesse an chinesischer (und japanischer) Landschaftsmalerei. Nach Studium und Zivildienst war für ihn klar: Ich muss nach China. Er bewarb sich um ein DAAD-Stipendium und bekam es: Erst ein Jahr Sprachunterricht in Beijing, dann an der Kunstakademie in Hangzhou.
Etwas wehmütig erinnert er sich an diese Zeit. „Ich habe Beijing geliebt“. Er wohnte draußen in Haidian, fuhr jeden zweiten Tag mit dem Fahrrad ins Zentrum. Am Spracheninstitut sei es sehr international gewesen, man habe viel diskutiert. Eine gewisse Aufbruchstimmung herrschte auch in Hangzhou, wohin er im August 1984 zog und bei Altmeister Sha Menghai und dem jungen Wang Dongling Kalligraphie studierte. Schmid: „Künstler sagten mir im Nachhinein: Das war die offenste Zeit in China.“ Laozi durfte ab 1986 wieder gelesen werden, die „Neue Welle“ (Xin Chao) entstand in jenen Jahren. „Es war so viel Hoffnung, es gab so viele Ideen und Möglichkeiten“, erinnert sich Schmid, der aber just in dieser spannenden Zeit vor einem Dilemma stand: Bleiben oder Gehen? Er ging, weil ihm Lehrer wie ausländische Kollegen sagten: „Wenn Du über 5 Jahre bleibst, bist Du für Europa verloren.“
Und so hat ihn Europa gewonnen. Schmid gehört hierzulande längst zu den führenden Experten für zeitgenössische chinesische Kunst – neben Martina Köppel-Yang, die in Heidelberg und Paris lebt, und dem viel zu früh verstorbenen Hans van Dijk. Viele Ausstellungen hat Schmid kuratiert. Die wichtigsten und bekanntesten sind „China Avantgarde“ (1993 im Haus der Kulturen), „Zeitgenössische Fotokunst aus der VR China“ (1997 im Neuen Berliner Kunstverein) und „Die 8 der Wege“ (2014 in den Uferhallen Berlin, kuratiert mit Guo Xiaoyan und Thomas Eller). Er ist gefragter Berater von Museen und Sammlern sowie Vermittler zeitgenössischer Gegenwartskunst an Akademien. Aber Schmid versteht sich nicht nur als Kunstbeobachter, sondern ist selbst als Künstler aktiv. Die Linie war immer Ausgangspunkt, die chinesische Kalligraphie brachte das Denken und den Umgang mit Zwischenräumen, der Leere und dem Rhythmus. Die Zeichnung in und mit dem realen Raum mit unterschiedlichen Medien bilden einen Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeiten. Und er unterrichtet hier wie dort: hier zum Beispiel seit 2005 bis heute chinesische Kalligraphie in Dresden, dort zuletzt 2017 in Chengdu Raum-und Lichtkunst, wie auch vorher beim „2. Internationalen Workshop für Kunst im öffentlichen Raum“ 2016 in Chongqing.
Schmid hat ein großes Netzwerk, darunter viele chinesische Künstler, von denen einige in den letzten Jahren nach Berlin kamen.
Die Kunstlandschaft in China – sagt er – habe sich in den vergangenen Jahren verändert. Beijing habe an Bedeutung verloren: „Sehr viele Ateliers sind dort in den letzten Jahren zerstört worden.“ Das einst gelobte Künstlerviertel 798 beherberge immer mehr Cafés. Manch hervorragende Gallerie sei weg. Viele Künstler seien nach Shanghai gezogen: „Das ist inzwischen der Umschlagplatz für Kunst.“ Bis 2018 war Schmid sehr oft in China. Insgesamt sei er, wenn man alles zusammenzählt, zwölf Jahre in China gewesen, rechnet er vor. Danach hat ihm Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber im kommenden Jahr will er wieder reisen. Für April ist eine Recherchereise nach Taiwan geplant, aber auch ein Besuch der Volksrepublik steht spätestens 2026 an: „Ich müsste mal wieder für ein halbes Jahr hin, um mich wieder auf den neuesten Stand zu bringen.“
Ob ihm das freilich gelingen wird, ist fraglich. Denn derzeit hat er eine im wahrsten Sinne des Wortes umfangreiche Hausaufgabe zu erledigen. Zusammen mit einer Assistentin hat er das letzte Jahr sein Archiv gesichtet, das aus rund 450 Büchern, Zeitschriften und Ordnern von den 80er Jahren bis heute besteht. Seine Sammlung sollte eigentlich in das documenta archiv in Kassel übergehen, aber das ist jetzt unsicher. Noch lagern Teile seines Archivs im Atelier, durch das er mich zum Abschied führt.
Wir stehen fast zwischen Tür und Angel, als er unbedingt nach so langer Beschäftigung mit China noch einen Wunsch – oder ist es ein Petitum? – loswerden will: „Unsere Medien sollten viel differenzierter über China berichten. Es ist so ein riesiges Land mit so diversen Kulturen. Diese Diversitäten sollten öfter vermittelt werden als das ewige Schwarz-Weiss, das uns nicht weiterbringt, auch wenn die politischen Entwicklungen der letzten Jahre eher bedrückend sind. Jeder Austausch ist elementar wichtig – immer.“
Info:
Mehr über Andreas Schmid auf seiner Homepage: www.andreasschmid.info