KULTUR I Chinas gegenwärtige Sciene-Fiction-Literatur – eine gar nicht versteckte Systemrkitik

Wenn man über Chinas Science-Fiction-Literatur redet, fällt meist als erster Name der von Liu Cixin, des Bestseller-Autors der Drei Sonnen. Insider nennen vielleicht noch Han Song und Wang Jinkang. Das sind die „Drei Großen“. Doch hinter diesem Trio hat sich eine neue jüngere Szene formiert, die Balinghou (八 零后, die Nach-8oer). Ihre Autoren und deren Werke stellt Frederike Schneider-Vielsäcker in ihrem Buch „Chinas zerrissene Generation“ vor, das auf ihrer Dissertation an der FU Berlin beruht. Zerrissen sei diese Generation der Balinghou in zwei Teile: Da sind die einen, deren Eltern von den Reformen profitieren; aber da seien auch die anderen, die nicht am Wohlstand teilhaben. Die Letzteren, die Zurückgebliebenen sind zum größten Teil Thema der gegenwärtigen Science-Fiction-Literatur: Diese „erzählt von gewöhnlichen Menschen, denen es nicht gelingt, den ´Chinesischen Traum` zu realisieren,“ schreibt Schneider-Vielsäcker. Und: „Die Texte verleihen den marginalisierten sozialen Gruppen in der chinesischen Gesellschaft eine Stimme.“

Autoren dieser gegenwärtigen Science-Fiction-Szene sind unter anderem Hao Jingjang, Chen Qinfan, Zhang Ren, Chi Hui und Ma Boyong. Sie haben auch drei. Verschiedene Wege entwickelt, wie sie die allgegenwärtige Zensur umgehen können. Erstens, veröffentlichen sie ihre Werke statt in der Volksrepublik im chinesischen Sprachraum, also in Taiwan, Hongkong oder Singapur. Zweitens geben sie ihre Manuskripte nur einem kleinen Kreis weiter (Schubladenliteratur). Oder drittens vermeiden sie in ihren Aufsätzen und Novellen chinesische Handlungsorte und weichen häufig auf die USA aus. So spielt zum Beispiel „Die Stadt der Stille“ von Ma Boyong oder „Äther“ von Zhang Ren in den USA. Nicht nur diese Werke beschreibt Schneider-Vielsäcker sehr ausführlich, sondern auch andere Stücke der jungen Science-Fiction-Generation. Geschickt kontrastiert sie ihre Geschichten mit der chinesischen Realität und stellt dabei deutliche Diskrepanzen fest: „Ihre zumeist düsteren Zukunftsvisionen stellen die Leitlinien Hu Jintaos oder Xi Jinpings als leere Versprechungen bloß.“ Begriffe wie „Harmonische Gesellschaft“ (Hu Jintao) oder „Chinesischer Traum“ (Xi Jinping) würden somit als „hohle Phrasen“ entlarvt. Aber Schneider-Vielsäcker warnt: „Es wäre zu einseitig, die gegenwärtige Science-Fiction-Literatur lediglich als kritischer Kommentare zur aktuellen Politik in China zu lesen.“ Sie würde sich durchaus auch universellen Fragestellungen widmen. Mit diesem Buch bekommt man einen guten Einblick in diese uns doch relativ verschlossene Szene und wundert sich, welch kritische Stimmen sich aus China – aus welchen Kanälen auch immer – Gehör verschaffen. .

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Info:

Frederike Schneider-Vielsäcker: Chinas „zerrissene Generation“, 390 Seiten, transcript Verlag, 50 Euro.

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