In der deutschen Wissenschaftslandschaft ist China ein wichtiges Thema. Das Decoupling oder das De-Risking hat auch die Wissenschaft erreicht. Die Diskussion kreist um die Frage: Wie soll man angesichts der veränderten politischen Großwetterlage (China wird zunehmend als Rivale betrachtet) mit chinesischen Wissenschaftlern zusammenarbeiten? Einige Forscher stellen gar die Grundsatzfrage: Soll man überhaupt noch mit den chinesischen Kollegen kooperieren? Darüber sprach ich mit Philipp Böing. Er ist Professor für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität Frankfurt und Senior Researcher am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Sein Spezialgebiet ist die Innovationspolitik Chinas (siehe CHINAHIRN, 28. Februar 2024). Böing war von August bis September drei Wochen in China, nahm dort an einer Konferenz in Shenyang teil und führte danach zahlreiche Gespräche mit Kollegen an den führenden Universitäten in Beijing.
Was war der Anlass Ihrer China-Reise?
Die Chinese Economy Working Group des National Bureau of Economic Research, mit Sitz in den USA, organisiert zweimal im Jahr eine Konferenz. Diesmal fand diese im nordchinesischen Shenyang statt. Sie ist eine der weltweit führenden Konferenzen zu Chinas Wirtschaft und eine ideale Dialogplattform, um mit führenden Kollegen in Kontakt zu kommen. Der überwiegende Teil der 60 Teilnehmer waren dieses Mal chinesisch-stämmige Forscher aus China und den USA. Bei früheren Konferenzen war der Anteil von Nicht-Chinesen noch etwas höher. Ich war beispielsweise der einzige Teilnehmer aus Europa.
Wie erklären Sie sich das? Wollen die Chinesen unter sich bleiben?
Europa war in der wirtschaftswissenschaftlichen China-Forschung schon immer vergleichsweise schwächer aufgestellt. Zudem ist es insgesamt schwieriger geworden, zu China zu forschen. Das schreckt junge Wissenschaftler ab, sich aus dem Ausland mit China zu beschäftigen. Und drittens gibt es eine gewisse Skepsis in der Forschergemeinschaft hierzulande, ob man überhaupt noch nach China reisen soll.
Sie haben diese Skepsis nicht?
Ich war seit Ende 2019 nicht mehr auf dem Festland. Zwar verbrachte ich letztes Jahr einige Monate als Taiwan Fellow an der Academia Sinica in Taipei, aber das ist kein hinreichender Ersatz für meine Forschungstätigkeit. Mir war schon klar, dass einiges anders sein wird nach diesen fast fünf Jahren. Ich bin aber sehr erwartungsoffen nach China gereist und positiv überrascht worden. Ein ganz simples Beispiel: Das Beherrschen des digitalen Alltags hat problemlos geklappt. Viel wichtiger war freilich, dass ich keinerlei Einschränkungen bei meinen Gesprächen unterworfen war.
Mit wem haben Sie sich denn getroffen?
Ich bin nach der Konferenz in Shenyang nach Beijing gereist. Dort traf ich Kollegen an der Peking Universität, der Tsinghua Universität, der Renmin Universität sowie der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS). Der offensichtliche Unterschied zu früher war, dass man sich vorher registrieren muss und nur via Gesichtserkennung auf den Campus kommt. Man sollte deshalb schon etwas vorausschauender seine Termine planen. Darüber hinaus hatte ich noch Gespräche an der Deutschen Botschaft und der Weltbank.
Haben sich die chinesischen Kollegen verändert? Sind sie vorsichtiger geworden?
Der Austausch war nicht anders als früher. Aber ich muss klar sagen: Ich kann hier auf langjährige und gefestigte Beziehungen zurückgreifen. Meine Gesprächspartner sind außerdem international und kompetitiv ausgerichtet und wählen sich ihre westlichen Gesprächspartner zielgerichtet aus. Meine Forschung zu Innovation ist für die Chinesen sehr relevant, vor allem durch die aktuelle Betonung der neuen Produktivkräfte. Daher besteht ein beidseitiges Interesse am fachlichen Austausch. Nach meiner Rückkehr haben wir am ZEW bereits eine Delegation des Forschungsdatenzentrums der Renmin Universität und des Nationalen Statistikamtes empfangen. Ein beidseitiges Interesse und Nutzen am fachlichen Austausch ist in jedem Fall unabdingbar.
Welches Fazit ziehen Sie nach Ihrer Reise?
Forschung zu China ist deutlich aufwendiger geworden. Man muss viel Zeit in Fragen investieren, die sich im westlichen Kontext so nicht stellen. Das ist vor allem für junge Kollegen, die nicht auf ein etabliertes Netzwerk zurückgreifen können, ein Problem. Und man muss planerisch und strategisch vorgehen, wenn man mit führenden chinesischen Universitäten zusammenarbeiten will. Was ich auch wahrgenommen habe, ist eine gewisse Unsicherheit darüber, welche Daten man mit ausländischen Partnern teilen darf. Das führt dazu, dass man als nicht-chinesischer Wissenschaftler schnell in eine abhängige Position geraten kann, denn der originäre Datenzugang liegt bei Forschung zu China häufig bei den chinesischen Kollegen. Nicht zuletzt aufgrund solcher Unsicherheiten ist der wissenschaftliche Austausch bzw. die gemeinsame Forschung in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Trotzdem sollten wir uns von den veränderten Rahmenbedingungen nicht abschrecken lassen. Ich befürworte insbesondere den wissenschaftlichen Dialog mit China auf der Arbeitsebene. Zusammen mit einem evidenz-basierten Verständnis aktueller innenpolitischer und außenpolitischer Entwicklungen in China schafft dies auch eine Grundlage für fundierte und unabhängige China-Kompetenz in Deutschland.
Info:
Hier kann man mehr über die Konferenz der Chinese Economy Working Group des NBER erfahren: https://www.nber.org/conferences/chinese-economy-working-group-meeting-fall-2024