POLITIK I Der gefährliche Tanz auf dem sozialen Vulkan

Keine Frage: Die Ungleichheit in der chinesischen Gesellschaft ist gewaltig und nimmt eher zu denn ab. Viele Beobachter im Westen betrachten dies als große Gefahr für die chinesische Führung. Sie behaupten, dass die abgehängten Teile der chinesischen Gesellschaft die Ungleichheit nicht mehr tolerieren wollen und sich irgendwann dagegen wehren. Es kommt zu Aufständen, zu einem Ausbruch des sozialen Vulkans. So die „Social-Volcano-These“. Einer, er sich intensiv mit diesem Problem beschäftigt hat, ist Martin King White, Professor an der Harvard University. Lange Zeit glaubte er nicht an einen Ausbruch des Vulkans. 2010 veröffentlichte er sogar das Buch „Myth of the Social Volcano“ (Stanford University Press), in dem er darlegte, warum es in China nicht zu Unruhen kommt, obwohl die Ungleichheit so groß ist. Dabei beruft er sich auf Umfragen aus den Jahren 2004 und 2009, die er zusammen mit dem Beida Research Center for Contemporary China gemacht hat. Dabei kam heraus, dass die meisten Chinesen überzeugt waren, durch harte Arbeit und gute Bildung nach oben zu kommen. Sie waren optimistisch, dass sich Leistung auszahlt. Sie sahen nicht das System als Schuldigen an, der sie am Aufstieg hindert. In einer weiteren Umfrage anno 2014 wurden diese Einstellungen nochmals bestätigt.

Doch nun – zehn Jahre nach der letzten Umfrage – hat sich das Bild geändert. Wieder hat White eine Umfrage gestartet, diesmal mit Forschern des Survey and Research Center for China Household Finance (CHFS) an der Southwestern University of Finance and Economics in Chengdu. Allerdings nur online. Es wurden zwecks Vergleichbarkeit die gleichen Fragen gestellt wie in den Umfragen von 2004, 2009 und 2014. Die Ergebnisse wurden soeben in einem Papier des Stanford Center on China’s Economy and Institution (SCCEI) veröffentlicht, das White zusammen mit den Stanford-Kollegen Scott Rozelle und Michael Alisky erstellt hat. Es trägt den Titel: „Getting Ahead in Today´s China: From Optimism to Pessimism.” In dieser Überschrift wird der Stimmungswandel in der Gesellschaft angedeutet. Es wird von einem „significant attitudinal shift“ gesprochen. Nun macht die Mehrheit strukturelle Faktoren für die Ungleichheit verantwortlich. Alleine durch Leistung und harte Arbeit komme man nicht mehr nach oben. Außerdem hättn viele Chinesen ihre Erwartungen zurückgeschraubt. Sie erwarteten keine großen Einkommenssprünge mehr.

Bedeutet das nun eine Gefahr für die Führung? Kommt es doch zu einem Ausbruch des sozialen Vulkans? Die Autoren glauben immer noch nicht an eine Eruption. Sie sehen keine „imminent threats to political stability“. Aber sie sagen auch, dass die Regierung etwas tun muss. Dazu fiel ihnen aber nur Altbekanntes ein: höheres Wachstum, mehr Jobs und ein Ausbau des sozialen Netzes.

Info:

Hier kann man das Papier „„Getting Ahead in Today´s China: From Optimism to Pessimism” herunterladen: https://fsi9-prod.s3.us-west-1.amazonaws.com/s3fs-public/2024-09/getting_ahead_in_todays_china_sccei.pdf

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