Andy Xie ist ein bekannter und renommierter Analyst. Jahrelang arbeitete er als Asiens Chefökonom für die amerikanische Investmentbank Morgan Stanley in Hongkong. Sein legendärer Ruf basiert vor allem darauf, dass er die Finanzkrise in Asien Ende der 90er Jahre prognostizierte. Seit 2006 ist Andy Xie unabhängiger Analyst in Shanghai. Kürzlich schrieb er in der South China Morning Post einen interessanten Kommentar mit dem Titel „How China is becoming the Saudi Arabia of renewables“. Seine These: So wie der Wüstenstaat einst den globalen Ölmarkt beherrschte, so dominiert China heute und in Zukunft die Märkte für erneuerbare Energien, also vor allem Sonne, Wind und E-Autos.
Xie ist nicht der Einzige, der diese These vertritt. Schon vor ein paar Monaten überschrieb die in London lebende Umweltjournalistin Isabel Hilton ihren Beitrag für eine Publikation der Yale School of Environment mit dem Titel „How China Became the World´s Leader in Renewable Energy“. Ende September legten Matthew Carl Ives (Oxford) und Natalie Sum Yue Chung (Princeton) nach. In einem Artikel für Asia Times (30. September) lautet ihr erster Satz: „China is winning the clean energy race“. Und dann folgen drei beeindruckende Zahlen: 90 Prozent aller Solarpanels stammen inzwischen aus China, außerdem über 70 Prozent aller Lithium-Batterien und 65 Prozent aller Windturbinen.
Wie konnte es zu dieser dominanten Position Chinas kommen? Hilton zeichnet in ihrem Artikel die historische Entwicklung nach. Sie datiert Mitte der 2000er Jahre als ein Wendepunkt in China. Damals stand China weltweit wegen seiner gravierenden Umweltprobleme am Pranger. 2006 hatte China die USA als größten CO2-Emittenten abgelöst. Diese Tatsache führte zu einem Umdenken in der politischen Führung. Man wollte nicht als böser Bube dastehen, der das Weltklima zerstört. Aber vielleicht wichtiger laut Hilton: „China´s planners were looking for investments that would create an opportunity for a more advanced technological future.” Und die erneuerbaren Energien sahen sie als Zukunftstechnologien. Entsprechend wurden diese in den folgenden Fünf-Jahres-Plänen, aber auch im 2015 verabschiedeten „Made-in-China-2025“ -Programm favorisiert und unterstützt. Ein weiteres wichtiges Datum war der 22. September 2020. Damals verkündete Xi Jinping vor der UN-Vollversammlung überraschend, dass China bis 2060 Karbonneutralität erreichen will. Diese Rede – so Hilton – “has sent a powerful political signal in favor of renewable investments across China.”
Infolge dieses vielfältigen politischen Supports haben chinesische Firmen in den letzten 10-15 Jahren massiv in die grünen Industrien investiert. Bei dem Aufstieg zur Weltspitze halfen ihnen angesichts des riesigen Marktes natürlich Skaleneffekte, aber auch die zunehmende Innovationsführerschaft. Andy Xie schreibt:„Through scale and innovation, it (China) has made renewable energy competitive or even cheaper than fossil fuels.”
Es sind eben nicht nur staatliche Subventionen oder unfaire Handelspraktiken, die China in die Pool-Position bei den erneuerbaren Energien gebracht haben. Trotzdem halten sich im Westen diese Erklärungen hartnäckig. Aber „that’s just a comforting myth“, schreibt der Bloomberg-Kolumnist David Fickling in seinem sehr lesenswerten Artikel „How the US Lost the Solar Power Race to China.“ Darin beschreibt er reportagehaft, wie China entgegen den Annahmen im Westen zur führenden Macht im Solarbusiness wurde: „China’s edge doesn’t come from a conspiratorial plot hatched by an authoritarian government. It hasn’t been driven by state-owned manufacturers, subsidized loans to factories, tariffs on imported modules or theft of foreign technological expertise. Instead, it’s come from private businesses convinced of a bright future, investing aggressively and luring global talent to a booming industry — exactly the entrepreneurial mix that made the US an industrial powerhouse.”
Inzwischen haben EU und USA reagiert und selbst massive Programme aufgesetzt. In der EU ist es der European Green Deal, in den USA der Inflation Reduction Act (IRA). Können sie damit Chinas führende Rolle gefährden? Ives und Chung sind skeptisch: „They might close the gap, but they are unlikely to shake China’s market dominance.”
Info:
Hier der Artikel von Matthew C. Ives und Natalie Sum Yue Chung in Asia Times (30. September): https://asiatimes.com/2024/09/china-is-winning-the-race-to-net-zero/
David Ficklings Reportage bei Bloomberg (30. September): „How the US Lost the Solar Power Race to China”: https://www.bloomberg.com/graphics/2024-opinion-how-us-lost-solar-power-race-to-china/
Und Isabel Hiltons Beitrag in Yale Environment 36o (13. März 2024): https://e360.yale.edu/features/china-renewable-energy