INSIDE ZHONGNANHAI I Wer brieft eigentlich Xi Jinping?

Man erfährt relativ wenig, was innerhalb des Beijinger Regierungsviertels Zhongnanhai passiert. Man weiß wenig, wie dort die politischen Entscheidungsprozesse ablaufen. Um so dankbarer muss man sein, wenn eine Studie hilft, zumindest etwas hinter die Kulissen zu blicken. In dem Report „Who Briefs Xi Jinping? How Politburo Study Sessions Help to Decode Chinese Politics” analysieren die beiden Autoren Neil Thomas und Hung Feifei (beide beim Center for China Analysis bei der Asia Society) die Studiensitzungen des Politbüros, um daraus Rückschlüsse auf die Politik der jeweils Herrschenden zu ziehen.

Das Politbüro – 24 Männer, null Frauen – ist das führende Organ der KP Chinas. Es tritt einmal im Monat – meist gegen Monatsende – für einen halben Tag zusammen. Anschließend gibt es eine Studiensitzung, „collective study“ genannt (jiti xuexi, 集体学习). Schulungen haben eine lange Tradition in der Partei, schreiben die Autoren. Schon 1938 führte das Zentralkomitee unter Mao Zedong Studiensitzungen ein. Aber erst unter Hu Jintao wurden die monatlichen „collective studies“ institutionalisiert. Inspiriert hätte ihn dazu das in den 90er Jahren erschienene Buch „The Fifth Discipline“ des amerikanischen Organisationsforschers Peter Senge. Er forderte damals, dass Unternehmen zu lernenden Organisationen werden müsse. Hu übertrug dieses Petitum auf die Partei. Am 26. Dezember 2002 (Maos Geburtstag!) fand unter Hu die erste Studiensitzung des Politbüros statt. Unter Nachfolger Xi Jinping wurde diese Tradition fortgeführt.

Die beiden Autoren haben alle Sitzungen zwischen Dezember 2002 und Juni 2024 untersucht und dabei einige Unterschiede festgestellt, wie Hu und Xi die Sessions handhabten. Während unter Hu Wirtschafts- und Sozialpolitik im Vordergrund standen, dominieren bei Xi Themen wie nationale Sicherheit und Technologie. Intensiv befassten sich die Sitzungen mit speziellen Technologien: Informationstechnologie (Oktober 20166), Big Data (Dezember 2017), Künstliche Intelligenz (Oktober 2028), Blockchain (Oktober 2019), Quantentechnologie (Oktober 2020) und Digitalwirtschaft (Oktober 2021). Auch in der Präsentation gibt es Unterschiede zwischen der Hu- und der Xi-Ära. Bei Hu wurden meist zwei Experten eingeladen, unter Xi nur einer. Hu bevorzugte Professoren und Mitglieder der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, Xi hingegen Experten aus parteinahen Organisationen, Staatsunternehmen und militärischen Forschungsinstitutionen wie der PLA Academy of Military Sciences oder die PLA National Defense University. Die Sitzungen werden meist Monate vorbereitet. Eine wichtige Rolle spielt dabei das CCP Central Policy Research Office (CPRO), das von Jiang Jinquan geleitet wird, einem Protégè von Xis Chefideologen Wang Huning. Die Sitzungen finden in einem Konferenzraum der Hall of Embracing Benevolence (Huairen Tang) in Zhongnanhai statt und dauern in der Regel zwei Stunden. 80 Minuten bekommt der Vortragende. Dann folgen 30 Minuten Diskussion. Die letzten zehn Minuten hat Xi Jinping das Wort. Xi benutzt die Sessions vor allem, um ihm wichtige Themen zu propagieren und in die Parteiorganisation zu tragen: „Sessions are a powerful tool for Xi to highlight a particular issue to ensure that his colleagues understand its importance“, schreiben die beiden Autoren in ihren Schlussfolgerungen.

Info:

https://asiasociety.org/policy-institute/who-briefs-xi-jinping-how-politburo-study-sessions-help-decode-chinese-politics

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