POLITIK I Die Achse der Autokraten – wie brüchig ist sie?

Ein Begriff erlebt eine Renaissance: die Achse. Sie erscheint allerdings in verschiedenen Formen. Anne Applebaum nennt sie in ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“. In amerikanischen Artikeln und Reden tauchen des Weiteren die Axis of Losers, Axis of Chaos, Axis of Revisionists oder Axis of Upheaval (Achse desUmbruchs) auf. Allen Bezeichnungen ist jedoch gemeinsam, dass sie stets die gleichen Staaten zu diesen neuen Achsenmächten zählen: China, Russland, Iran und Nordkorea. Manche benutzen deshalb auch das Kürzel CRINK. Nicht nur aus alphabetischen Gründen steht China an erster Stelle. Alle Achsen-Theoretiker sehen China als den Führer dieses Verbundes.

Chinas Führung sieht das freilich anders. Sie kritisiert diesen Begriff: “The term axis has wartime connotations”, schreibt das chinesische Außenministerium in einer E-Mail-Notiz. Da ist was dran. Italiens Führer Benito Mussolini verwendete zum ersten Mal den Begriff Achse. Im Zweiten Weltkrieg bezeichnete man dann die faschistische Allianz Italiens mit Deutschland und Japan als die Achsenmächte. Jahrzehnte später – am 29. Januar 2002 in seiner Rede zur Lage der Nation – sprach US-Präsident George W. Bush von der „axis of evil“, der Achse des Bösen, und zählte dazu den Iran, den Irak und Nordkorea. China und Russland waren damals noch nicht so böse und fanden keine Aufnahme.

Jetzt also CRINK. Wieder wird – wie bei Bush – die Welt in gut (der Westen) und böse (die Schurkenstaaten) geteilt. Aber was ist CRINK eigentlich? Ein (entstehendes) Bündnis wie die NATO? Nein, sagt James M. Lindsay vom Council on Foreign Relations (CFR) in seinem Blog (18. Oktober): “It is a marriage of convenience and falls far short of being an alliance like NATO.” Sie haben keine gemeinsame Ideologie wie die NATO, die für westliche Werte eintritt. Sie ist vielmehr eine sehr heterogene Gruppe. Anne Applebaum schreibt in ihrem Buch: „Das kommunistische China, das nationalistische Russland, die iranische Theokratie, das sind sehr verschiedene Länder.“ Warum das Quartett trotzdem zusammengefunden hat, erklärt Stephen Hadley in Foreign Affairs so: “What truly bonds the axis is not ideology but a common opposition to U.S. power and the international system it sustains.” Manche, so die Politik-Professorin May-Britt Stumbaum (Universität der Bundeswehr München), glauben sogar, dass die Vier „die internationale Ordnung umstürzen und nach ihren Interessen umformen wollen“ (Interview mit dem Merkur am 12. November).

  Anders als die NATO ist CRINK in keiner Weise institutionalisiert. Es gibt keinerlei Verträge oder gar Beistandsverpflichtungen. James M. Lindsay: „Most of the interaction among the four countries are bilateral rather than tri- or quadrilateral.” Untereinander gibt es ein Geflecht von Abkommen über strategische Kooperationen, zum Teil auch im militärischen Bereich. Russland zum Beispiel hat im Juni 2024 mit Nordkorea eine „mutual defence alliance“ (gegenseitiges Verteidigungsbündnis) geschlossen. Eine Folge ist, dass nun rund 12 000 Nordkoreaner für Russland im Ukraine-Krieg kämpfen. Aber dieses Beispiel zeigt auch, wie brüchig CRINK ist. China ist nicht gerade begeistert von dieser russisch-nordkoreanischen Allianz. Es zeichnet sich eine zunehmende Entfremdung zwischen Nordkorea und China ab. Darüber berichtet Hao Nan vom chinesischen Thinktank The Charhar Institute in einem Beitrag für den Newsletter Think China. Der Titel seines Artikels mag für viele im Westen überraschend sein: „North Korea’s new enemy: Why Kim Jong-un is turning against China”. Er zitiert Kim, der Mitte September gesagt haben soll, dass China „a longstanding enemy“ sei.

   Die nordkoreanisch-russische Liaison verändert auch das Verhältnis Chinas zu Russland. Trotz aller gegenseitiger Liebesbekundungen ist die Freundschaft beider Länder so fest nicht. „The relationship is primarily one between their current leaders”, schreibt Stefan Wolff (University of Birmingham) in Asia Times (12. November). Er sieht einige Ressentiments vor allem auf russischer Seite. Putin gefalle die Rolle des Juniorpartners nicht. Außerdem störe ihn das Engagement Chinas in Zentralasien. Nähert sich Putin deshalb Nordkorea an, um vor der Haustüre Chinas Fuß zu fassen? Welterklärer Herfried Münkler meint das in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Ich glaube eher, dass wir einen Überfall Putins in die Einflusssphäre Xi Jinpings sehen – vielleicht als Retourkutsche dafür, dass China mit seiner Seidenstraßen-Strategie in Zentralasien dominant geworden ist. Das verdeutlicht, dass Autokratien keineswegs immer ein Herz und eine Seele sind.“

So sieht es offenbar auch Donald Trump. In einem Gespräch mit Tucker Carlson (31. Oktober) sagte er, dass die zwei Staaten – China und Russland – „natural enemies“ seien. Seine Strategie sei deshalb „to un-unite China and Russia“. Na ja, Trump hat schon viel versprochen…

Info:

Artikel “Ji Xinping’s Axis of Losers:https://www.foreignaffairs.com/china/xi-jinpings-axis-losers

Artikel “The Axis of Upheaval”: https://www.foreignaffairs.com/china/axis-upheaval-russia-iran-north-korea-taylor-fontaine?check_logged_in=1&utm_medium=promo_email&utm_source=lo_flows&utm_campaign=article_link&utm_term=article_email&utm_content=20240729

Ein Report des Institute Montaigne über die Achse: https://www.institutmontaigne.org/en/expressions/china-trends-21-chinas-balancing-act-axis-upheaval

Email des chinesischen Außenministeriums : https://mailchi.mp/a6da392ac420/01042021-china-mfa-press-conference-14173383?e=f17b2cd584

Hao Nan in Think China: https://www.thinkchina.sg/politics/north-koreas-new-enemy-why-kim-jong-un-turning-against-china

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