Ich bin wieder zurück in Deutschland und muss gestehen: Je mehr man sich mit China beschäftigt, desto diffuser wird das China-Bild. Das sagten bislang gestandene Sinologen und China-Praktiker der ersten Stunden. Doch nun schließe auch ich mich dieser Meinung an. Die kommenden Festtage bilden eine willkommene Zeit für Sortierung, Reflexion und Nach-Recherchieren meiner Eindrücke.
Also berichte ich zunächst erst einmal über die praktischen Dinge meiner Reise. Der problemlosen ersten Einreise ohne Visum (Wan Hua Zhen berichtete darüber in der letzten CHINAHIRN-Ausgabe) folgten die Ausreise nach Taipei via Kunming und Guangzhou und später die Wiedereinreise in Shanghai. Es sind inzwischen überlappende Einreisebestimmungen für die Volksrepublik in Kraft: die visafreie Reise von bis zu 30 Tagen (gültig seit dem 30. November) und die gerade am 17. Dezember aktualisierte Transitregelung. Nach dieser darf man nun bis zu 240 Stunden beim Transit in China bleiben. Bisher waren je nach Standort 72 bzw. 144 Stunden erlaubt. Außerdem wurden 21 zusätzliche Häfen oder Flughäfen für die Transit-Anwendung neu zugelassen. Praktische Bedeutung hat die neue etwas übereifrige Lockerung für Reisende aus Deutschland kaum. Solange der Rückflug aus China heraus – egal wohin – im Einreiseformular eingetragen ist, werden einem kaum Fragen gestellt. Ich bekam zum Beispiel keine einzige während der Ein- und Ausreisen.
Alle Flüge und Züge waren pünktlich. Dass die chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge eine Pünktlichkeit von 99 Prozent vorweisen, ist bekannt. Das ist in Japan und Taiwan genauso. Allerdings hat China ein Netz von 45 000 Kilometern, während es in Japan nur knapp 3000 Kilometer sind. Und noch etwas ist mir diesmal aufgefallen. Die Zugbegleiterinnen kümmern sich während der ganzen Fahrt neben allen anderen Aufgaben auch noch um die Platzwechsel der Passagiere. Erstaunlich viele hatten solche Wünsche in dem Zugteil, in dem ich saß. Die Zugbegleiterinnen erfüllten die Wünsche zielstrebig und mit einer Engelsgeduld. „Warum machen es die Reisenden nicht selbst untereinander aus?“ fragte ich mich erst selbst und irgendwann platzte die Frage auch heraus. Die Antwort kam prompt: „Wir sind das Servicepersonal. Das ist doch eine normale Dienstleistung.“ Und ihr letzter Satz saß: Chinesen vertrauen Fremden nur ungern, deshalb will man einen Fremden auch nicht um einen Gefallen bitten.
Von beeindruckender Pünktlichkeit sind hingegen die chinesischen Fluggesellschaften laut amtlichen Statistiken meilenweit entfernt. Schuld daran ist auch das häufige Sperren von Lufträumen. Ich habe diesmal Glück gehabt. Kurios: Vor der Landung in einer Grenzstadt wurden die Passagiere aufgefordert, die Sichtblende herunterzuziehen. Sonst kennt man diese Praxis auf der ganzen Welt genau umgekehrt. Es war ein komisches Gefühl, auch für einen Vielflieger wie mich, nicht nach draußen blicken zu können, während die Maschine im Landeanflug war. Sehen konnte man in dem Fall sowieso nichts. Es war schon nach 21 Uhr. Aber Vorschriften sind eben Vorschriften. Es hätte ja sein können, sagte die Flugbegleiterin höflich und ernsthaft, dass ein Passagier ein Nachtsichtgerät dabeihätte. Wer an Feinde glaubt, sieht auch mehr Feinde.
Tags darauf besichtigte ich eine populäre Teeplantage. „Gehen Sie zu der Aussichtsplattform. Dort können Sie schöne Fotos machen“, wurde ich energisch aufgefordert. Dort angekommen, staunte ich nicht schlecht: Ich hatte beim besten Licht beste Sicht auf den gesamten Flughafen samt Start und Landung, also dort, wo ich in der Nacht zuvor mit geschlossenen Sichtblenden gelandet war. China sei streng durchregiert, so die landläufige Meinung im Westen. Vielfach stimmt diese These gar nicht. Siehe hierzu auch das Editorial in dieser CHINAHIRN-Ausgabe.
Auch Wan Hua Zhen bedankt sich an dieser Stelle bei den Lesern und wünscht allen 圣诞快乐,新年万事如意!
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