Zhang Dandan ist eine inzwischen bekannte Ökonomin. Die Professorin an der National School of Development (NSD) an der Peking University weist immer mal wieder auf gesellschaftliche Probleme hin. So zum Beispiel im Juli 2023, als sie verkündete, dass die Jugendarbeitslosigkeit viel höher sei als in den offiziellen Statistiken ausgewiesen. Dort werde sie mit 21 Prozent angegeben. Doch sie kam auf eine Zahl von 46,5 Prozent. Das löste eine Diskussion über das Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit aus. Und die Behörden zogen ihre Zahlen erst mal zurück. Aufsehen erregte auch ihre Studie über die sogenannten left-behind children – Wanderarbeiter-Kinder, die zuhause von Großeltern oder Verwandten großgezogen werden. Zhang wies nach, dass diese Kinder später oft in die Kriminalität abrutschen.
Nun hat sich Zhang Dandan mit einer bislang wenig beachteten Spezie beschäftigt – dem Gig-Arbeiter in der Industrie. Was ist ein Gig-Arbeiter? Das englische Wort gig heißt Auftritt. Aber Auftritts-Arbeiter? Nein, eine gute deutsche Übersetzung gibt es nicht, deshalb benutzt man auch hierzulande meist den englischen Ausdruck gig worker. Am ehesten passt noch der antiquierte deutsche Ausdruck Tagelöhner. Arbeiter also, die keinen festen Arbeitsvertrag haben und auch nicht sozialversichert sind. Diese Definition benutzt auch Zhang Dandan: „Gig workers are without formal labour contracts and without access to basic social security benefits.”
Von diesen gig workers gibt es in China Millionen. Aber bislang drehte sich die Diskussion vor allem um die Gig-Arbeiter, die auf Chinas städtischen Straßen unterwegs sind – die Kurierfahrer, die Essenslieferanten und die Taxifahrer. Über ihren schweren Arbeitsalltag wurde viel berichtet. Aber gig worker in den Fabriken? Darüber wusste man bislang nicht allzu viel. Ein Forschungsteam um Zhang Dandan machte sich deshalb zwischen 2022 und 2024 auf, um in den beiden großen Industriezentren des Landes – dem Perlflussdelta und dem Yangtze Flussdelta – zu recherchieren. Über ihre Ergebnisse berichtet Zhang Dandan in einem Artikel in Caixin mit dem Titel „The Non-Negligible Trend of Gigification in Manufacturing“. Die zentralen Ergebnisse: Rund ein Drittel der Fabrikarbeiter sind „Tagelöhner“, in Spitzenzeiten können es sogar zwei Drittel sein. Sie berichtet von Fabriken mit über 10 000 Beschäftigten, von denen sogar 80 Prozent keinen festen Arbeitsvertrag haben und nur bei Bedarf engagiert werden. Das formal kommunistische China leistet sich also eine gigantische industrielle Reservearmee, um mal einen alten marxistischen Terminus zu gerbrauchen.
Der durchschnittliche gig worker ist – das ergab die Untersuchung Zhangs – 26,4 Jahre alt, zu 80 Prozent männlich und meist Single. Sein monatliches Einkommen beträgt 5444 Yuan (752 Dollar), ihre Wochenarbeitszeit 61,6 Stunden. Fast die Hälfte von ihnen hat keine der fünf üblichen sozialen Versicherungen. Über 70 Prozent hoffen, in den nächsten fünf Jahren ein stabiles Einkommen (sprich: einen festen Arbeitsvertrag) zu erhalten. Aber diese Wünsche werden wohl unerfüllt bleiben. Zhang prophezeit: „The scale of gig work is expected to expand.”
Sie nennt verschiedene Gründe, warum das Heer der gig workers so groß ist und noch zunehmen wird. Mit ihnen können zum Beispiel Unternehmen die Schwankungen in der Produktion ausgleichen. Steigen die Aufträge, holen sie die gig workers. Außerdem habe sich eine Plattform Economy entwickelt, wo Arbeiter online vermittelt werden. Zhouxinxin sei zum Beispiel eine solche Plattform. Zudem habe die smart manufacturing technology dazu geführt, dass Unternehmen viel flexibler in der Produktion sind und sich nur noch einen kleinen festen Stamm an Mitarbeitern leisten und diesen – je nach Bedarf – mit gig workers erweitern.
Für Zhang ist diese Entwicklung unaufhaltsam, aber sie warnt gleichzeitig davor, die Interessen der gig workers zu vernachlässigen: „Gig work is an inevitable trend, but balancing this flexibility with workers rights is still essential.“
Info:
Hier die englische Übersetzung des Caixin-Artikels: https://www.eastisread.com/p/dandan-zhang-chinas-factory-workers