WIRTSCHAFT I Konsumieren für den Frieden?

Ob wir bei Temu bestellen, Socken kaufen oder mit Stäbchen essen: Wir sind es gewohnt, chinesisch zu konsumieren. Waren aus China sind überall. Und wer nach China schaut, auf die großen Städte des Landes mit ihren riesigen Einkaufszentren, auf das leuchtende Shanghai mit seinen glitzernden Einkaufsstraßen, wer noch dazu weiß, dass China heute der größte Automarkt der Welt ist, der kommt womöglich gar nicht mehr auf den Gedanken, wie sehr sich China an einem Punkt auch heute noch vom Westen unterscheidet: Chinesen konsumieren weniger. Sie essen pro Kopf weniger Fleisch, tragen pro Kopf weniger Kleider, fahren pro Kopf auch noch weniger Autos. Wie vernünftig, könnte man denken! Doch das soll sich nun ändern. Und ausgerechnet im gesteigerten Konsum von 1,4 Milliarden Chinesen sehen auch westliche Ökonomen die historische Chance zum Ausgleich zwischen Ost und West, die Chance zur Vermeidung drohender Handelskriege und zum Frieden mit China schlechthin.

Die Hoffnung liegt vorerst darin, dass mit dem chinesischen Konsum gerade alles seinen geregelten parteipolitischen Gang geht: Im vergangenen Jahr mahnte das dritte Plenum des 20. Zentralkomitees schon im Sommer neue Wachstumsinitiativen an. Es folgte im Dezember die zentrale wirtschaftliche Arbeitskonferenz der Partei, welche die Konsumsteigerung zur höchsten Priorität der Wirtschaftspolitik erklärte. Das bestätigte vor wenigen Wochen der Nationale Volkskongress in Peking mit der Stimme von Premierminister Li Qiang, der den Konsum nun als „wichtigsten Motor“ der chinesischen Wirtschaft bezeichnete – und eben nicht mehr staatliche Investitionen, die seit Jahrzehnten den chinesischen Wachstumstakt vorgegeben hatten. Es folgte am 16. März die Ankündigung eines „besonderen Aktionsplans“ zur Konsumförderung durch den Staatsrat, Chinas Regierung. Und am 17. März sprach Li Chunlin, Vize-Präsident der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), auf einer Pressekonferenz in Peking vom Ziel der Regierung, „den Menschen mehr Vertrauen zu geben, ihr Geld auszugeben“.

Das alles zog sich so lange hin, null Disruption, dass außerhalb Chinas kaum jemand mehr die möglicherweise historische Kehrtwende der chinesischen Wirtschaftspolitik erkannte, die sich da vor aller Augen vollzog. „Das Ausmaß der Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ist beispiellos“, applaudierte der Beijinger Wirtschafsprofessor John Gong. Doch so richtig wollte es niemand glauben. „Es gibt ein enormes Potenzial im Konsum, insbesondere im Dienstleistungssektor, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln“, sagte Gong und betonte, dass der Konsum weniger als 40 Prozent des chinesischen BIP ausmacht und damit deutlich unter dem der Industrieländer liegt.

Da war er wieder: Der große Unterschied im privaten Verbrauch zwischen China und dem Westen. Er ist Chinas bislang uneingelöstes Wachstumsversprechen. In China liegt der private Verbrauch bei 39 Prozent vom BIP, zum Vergleich: in den USA liegt er bei 68 Prozent. Wie viel Ware aus aller Welt, aber vor allem aus den USA und Europa, würden die chinesischen Verbraucher also eines Tages kaufen, wenn auch ihr Konsum bei 50 oder 60 Prozent ihres BIP liegt? Weil sich auch BMW, Mercedes und VW und mit ihnen viele deutsche Unternehmen noch eine Menge von diesem Kuchen versprechen, investieren sie heute weiter in China. Die KPCh lädt sie dazu ausdrücklich ein, siehe das Treffen internationaler Unternehmer mit Xi Jinping.

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