Die Liberalen sind – wie auch fast allen anderen Parteien – in einem Dilemma. Sie machen sich – urliberales Petitum – für die Menschenrechte stark. Deshalb war es für sie klar, dass sie den Vorsitz des Menschenrechtsausschusses im Bundestag für sich reklamierten und mit Gyde Jensen besetzten. Daneben gibt es die Vertreter des Wirtschaftsflügels, die China etwas differenzierter betrachten wollen. Sie kritisieren auch das Vorgehen Chinas in Hongkong, aber sie wissen auch, dass viele Unternehmer – gerade Mittelständler, also das klassische liberale Klientel – gute Geschäfte in China machen und diese eventuell bei zu hartem Auftreten gefährdet sind. Sie argumentieren: Wir sind (wirtschaftlich) abhängig, also Vorsicht beim China-Bashing. Doch diese Gruppe ist in der Minderheit. Es dominieren in der China-Frage die Menschenrechtler um Gyde Jensen, versträkt um die Außenpolitiker um den Transatlantiker Alexander Graf Lambsdorff (siehe und höre sein Statement auf der Nürnberger Sicherheitsgesprächen) und – nicht zu vergessen – die JuLis, die Jungen Liberalen. Sie alle sind eher geneigt den konfrontativen amerikanischen Kurs zu unterstützen.
Hinzu kommt: Die Liberalen haben eine starke Taiwan- und Hongkong-Fraktion. Frank Müller-Rosenthal, der Berichterstatter China in der Fraktion, ist in Taiwan sehr gut vernetzt. Auch Jens Brandenburg, der hochschulpolitische Sprecher gehört zu dieser Fraktion. Brandenburg macht sich vor allem für die die Schließung der Konfuzius-Institute stark. Kaum jemand in Partei und Fraktion hat hingegen Kontakte in die Volksrepublik, was auch daher rührt, dass die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung kein Büro mehr dort hat. Nicht, weil sie nicht will, sondern weil sie nicht darf. Es gab mal eine Auseinandersetzung um eine Tibet-Veranstaltung. Das nimmt Beijing der Stiftung bis heute noch übel.
China-Kompetenz ist auch in der FDP eher Mangelware. MdB Johannes Vogel ist einer der wenigen in der Partei, der sich zumindest etwas intensiver mit China auseinandersetzt. Immerhin war er im Sommer 2014 für ein paar Monate in China, um etwas Chinesisch zu lernen. Aber seine Arbeitsschwerpunkte im Bundestag liegen im Bereich Arbeit und Soziales. Das Thema China läuft da bei ihm nur am Rande mit. Vogel verfolgt den Gedanken einer Beyond-China-Strategie, wie er es nennt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: „Klug ist es, sich nicht von einem solchen Markt abhängig zu machen, und deshalb geht es darum, wie können wir auch andere Märkte erschließen, wie können wir zum Beispiel den Handel und Investitionen mit anderen asiatischen Staaten, Malaysia und andere, weiter fördern.“
Ganz in diesem Sinne hat der Bundesvorstand im Mai entschieden, kein China-Papier zu verabschieden, sondern ein Asien-Papier (siehe Info). Darin fordern die Liberalen explizit eine engere Kooperation mit den demokratischen Staaten der Region – von Japan und Korea über Indonesien bis nach Indien. Über China heißt es: Das Land stelle zwar ein großer Absatzmarkt dar, aber gleichzeitig versuch es seine konkurrierenden Normen und Standards in der Region und darüber hinaus zu verbreiten. Zudem sei Chinas Außenhandelspolitik von Staatskapitalismus und Protektionismus geprägt, WTO- Prinzipien wie die Reziprozität, die Inländergleichbehandlung und Transparenz würden weiterhin nicht eingehalten. Aus dieser Analyse leiten die Liberalen zwei Ziele ab: „Auf der einen Seite gilt es, mittels eines Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialogs unsere Werte aktiv zu verteidigen und die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in China zu verbessern; auf der anderen Seite bleibt China mit seinem Anteil von 20 Prozent am Welthandel ein unabdingbarer Partner bei der Lösung zentraler internationaler Fragen wie der Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung und der Bekämpfung des Klimawandels.“
China – das ist auch bei den Liberalen Partner und Rivale. Für manchen in der Partei ist es mehr Partner, für die meisten aber mehr Rivale.
Info:
Am 18. Mai 2020 hat der Bundesvorstand der FDP folgendes Asien-Papier verabschiedet: Die globale Zukunft demokratischer und sicherer gestalten – 10 liberale Forderungen für eine neue strategische Kooperation mit der Region Asien-Pazifik, https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2020/05/18/2020-05-18-buvo-10-liberale-forderungen-fuer-eine-neue-strategische-kooperation-mit-der-region-asien.pdf
Den Lambsdorff-Vortrag bei den Nürnberger Sicherheitsgesprächen am 26. Juni ist hier auf youtube: zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=gr-r6lhrvZc (sein Statement ist ab Minute 23:40)