Das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar ist die größte Schule in Baden-Württemberg. Rund 2600 Schüler werden dort von über 200 Lehrkräften unterrichtet. Ein paar wenige von ihnen lernen etwas ganz Besonderes – Chinesisch. Das Gymnasium bietet als einziges im Ländle Chinesisch als zweite Fremdsprache an. Das Fach wird von fünf LehrerInnen unterrichtet. Eine von ihnen war Petra Müller (64). Die Sinologin war von 2008 bis Sommer 2020 dort und kann deshalb viel erzählen.
Wie kam sie überhaupt zu China und dessen Sprache? „Ich hatte immer Interesse an fremden Sprachen“, sagt sie. Und China sei damals Mitte der 70er Jahre spannend gewesen. Diplomatische Beziehungen wurden aufgenommen. „Es zeichnete sich ab, dass sich China öffnen wird.“ Sie studierte Sinologie an der Uni Heidelberg, unterrichtete danach an diversen Unis und arbeitete als Mitarbeiterin in zahleichen deutsch-chinesischen Kooperationsprojekten, unter anderem beim Bundesrechnungshof und am Goethe Institut.
Dann kamen die Nullerjahre. Wirtschaftlich wurde das Land immer bedeutender, die Olympischen Spiele nahten. Das Interesse an Chinesisch stieg. Müller fing an Chinesisch zu unterrichten, erst bei privaten Stiftungen, dann an Schulen. „Ich bin so reingeschliddert als Seiteneinsteigerin“, sagt sie. Normal muss ja ein Lehrer zwei Fächer unterrichten, sie hatte nur eines. „Ich hatte so einen Exotenstatus in Marbach.“
Warum überhaupt Marbach? Treiber war der ehemalige Rektor Günter Offermann (er wurde dieses Jahr 70), der mit China eigentlich nichts am Hut hatte, aber ein sehr breites Angebot an seiner Schule haben wollte. „Er war sehr, sehr visionär“, sagt Müller. Marbach hat auch einen Standortvorteil. Es liegt im Großraum Stuttgart. Dort gibt es Bosch, Daimler, Porsche und viele kleine Unternehmen, von denen viele in China engagiert sind. Einige Beschäftigte dieser Firmen schicken deshalb ihre Kinder nach Marbach, weil man dort Chinesisch lernen kann. Dafür nehmen manche einen langen Schulweg in Kauf. Einige denken schon an die Karriere nach der Schule: Als schwäbischer Ingenieur mit Chinesisch-Kenntnissen steigen meine Chancen. Die Motive, warum sich 12jährige für Chinesisch entscheiden, sind vielfältig. Müller: „Zum Teil lassen sie sich auch durch kindliche Vorstellungen leiten: Kaiser, Mauer, Drachen üben für sie eine Faszination aus.“ Manche landen durch das Ausschlussverfahren bei Chinesisch. Sie wollen kein Latein, kein Französisch, also dann eben Chinesisch. Außerdem habe diese Sprache ein Exotenbonus, weiß Müller. „Da kann man auch mit angeben.“
Ab der sechsten Klasse ist es in Marbach möglich Chinesisch als zweite Fremdsprache zu wählen. Nach der zehnten Klasse kann man es abwählen oder bis zum Abitur durchziehen. Die Zahl der Unterrichtsstunden schwankt zwischen drei und fünf pro Woche. Angestrebt wird bis zum Abitur der B1-Level. Wichtiger als möglichst viele Schriftzeichen zu lernen sei das situationsbezogene funktionale Sprechen, erklärt Müller. Im Unterricht werde sehr viel gesprochen. Und auch im mündlichen Abitur unterhalten sich zwei Schüler über ein Thema. Jeder hat fünf Minuten für einen Monolog, danach folgt eine Diskussion zwischen den beiden Prüflingen.
Müller, die auch an Gymnasien in Besigheim und Heilbronn unterrichtete, hat im Sommer aufgehört. Warum? „Die pädagogischen Aufgaben waren größer als die rein fachlichen.“ Jetzt will sie sich dem Thema China mehr auf der Meta-Ebene widmen. Sie möchte gerne Schulen beraten, zum Beispiel bei der Lehrerfortbildung oder dem Schüleraustausch.