OLD CHINA HANDS I Ian Johnson, ausgezeichneter Journalist

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Ian Johnson (59).

Ian Johnson hat die kanadische und amerikanische Staatsbürgerschaft. Er hat lange in China gelebt. Und wo treffen wir uns? In einer Kneipe in Kreuzberg. Johnson ist derzeit ein paar Monate in Berlin, was so etwas wie seine zweite Heimat ist. Mehrmals war er hier – als Student, als Korrespondent und nun als Thinktanker. Seit Juli ist er beim Council on Foreign Relations (CFR). Der residiert vornehm an der Park Avenue in Manhattan, Aber Johnson ist aus privaten Gründen in Berlin (und schreibt noch nebenbei seine Doktorarbeit bei Professor Clart in Leipzig). Ian Johnson ist einer der bekanntesten und erfahrensten China-Korrespondenten. Er ist dekoriert mit dem renommierten Pulitzer-Preis, den er 2001 für eine Reportage über Falun Gong erhielt. Wie so einige Old China Hands ist auch Johnson eher zufällig mit China in näheren Kontakt gekommen. Er studierte an der University of Florida Geschichte. Dazu musste er aber noch eine Fremdsprache belegen. An der schwarzen Wand hing der Zettel eines Professors, der noch Studenten für seinen Chinesisch-Kurs suchte. Mehr aus Spaß und Neugier schrieb sich Johnson ein. Und aus einem Semester wurden noch ein Semester und noch ein Semester. „Plötzlich hatte ich so viele Scheine, dass ich Asienkunde als Hauptfach nahm“, sagt Johnson. Nebenbei arbeitete er für die Studentenzeitung und volontierte bei der Orlando Sentinel. Während des Studiums war er auch zwei Semester an der Peking Universität (Beida), um vor Ort festzustellen: „Mein Chinesisch war so schlecht.“ Deshalb ging er nach dem Bachelor noch für zwei Jahre nach Taiwan, wo er auf eine deutsche Sinologie-Studentin traf, die seine Frau werden sollte. 1988 zogen dje beiden nach West-Berlin. Johnson paukte ein Jahr Deutsch und begann ein Sinologie-Studium an der FU: „Ich wollte wirklich nur studieren“. Doch dann fiel die Mauer und der Möchtergern-Journalist war plötzlich gefragt. Vor allem für die „Baltimore Sun“ schrieb er viel. Doch er schloss auch noch seine Magisterarbeit über chinesische Wirtschaftsreformen ab. Das Thema war bewusst gewählt: „Die meisten Journalisten schreiben nicht so gerne über Wirtschaft.“ Er kalkulierte, dass sich mit diesem Wissen seine Berufschancen erhöhen würden. Und es funktionierte: 1992 stellte ihn die „Baltimore Sun“ als Wirtschaftskorrespondenten in New York ein und 1994 schickte sie ihn nach Beijing. Dort konnte er viele Reportagen schreiben, die auch dem Wall Street Journal auffielen. 1998 wechselte er zu dem Wirtschaftsblatt in die Beijinger Redaktion. Für das Journal schrieb er auch die preisgekrönte Falun-Gong-Reportage. Kurz danach verließ er Beijing. Viele glaubten, er sei wegen dieser kritischen Reportage rausgeflogen. Johnson stellt richtig: „Das stimmt nicht. Ich habe sogar ein Abschiedsessen mit dem Außenministerium bekommen.“ Der Grund war ein anderer: 2001 wurde beim Wall Street Journal die Stelle des Büroleiters in Berlin frei, diese reizte ihn, und er arbeitete dort sechs Jahre. Dann wollte er zurück nach Beijing. „Wir haben zwei Jahre geackert um ein Visum zu bekommen.“ 2009 bekam er es, arbeitete zunächst noch fürs Wall Street Journal, dann ab 2010 unter anderem für die New York Times, für die er auch akkreditiert war. 2020 wurden die Visa diverser US-Korrespondenten nicht mehr verlängert.  Das war eine chinesische Replik auf Trumps Rausschmiss von chinesischen Korrespondenten in den USA. „Ich wollte 2020 sowieso China verlassen. Ich war also geistig darauf vorbereitet, China zu verlassen, aber professionell nicht“, sagt Johnson. Mitten in seine Gedankenspiele, wie es weitergehen könnte, kam das Angebot des CFR. Seit 1. Juli ist er nun dort – so der offizielle Titel – Stephen A. Schwarzman Senior Fellow for China Studies. Weil seine Lebensgefährtin, eine Künstlerin aus Singapur, gerade eine Ausstellung in Berlin vorbereitet, darf er ein paar Monate von Berlin aus arbeiten. „Wir arbeiten ja eh alle im Home Office“, sagt er. Aber er muss seinen Berliner Tagesablauf nach amerikanischen Bürozeiten ausrichten: „Bis 23 Uhr muss ich erreichbar sein.“ Unser Feierabend-Bier in Kreuzberg war für ihn also ein Frühschoppen.

Info:

Mehr über Ian Johnson gibt es auf seiner Homepage: www.ian-johnson.com. Zu empfehlen ist sein aktuelles Buch: The Souls of China: The Return of Religion After Mao, Pantheon, 480 Seiten.

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