Ende September 2019 trat Georg Fahrion (40) seine Stelle als China-Korrespondent des Spiegel in Beijing an. Unmittelbar danach kulminierten die Unruhen in Hongkong, es folgte die Präsidentschaftswahl in Taiwan – und dann kam Corona. „Ich kennen China nur im Ausnahmezustand“, sagt Fahrion. Das ist einerseits stressig, andererseits aber auch vorteilhaft: Er hat – im Gegensatz zu manch anderem Korrespondenten an wenigere bedeutenderen Plätzen dieser Welt – keine Probleme, seine Texte in der Hamburger Zentrale abzusetzen. China ist dort gefragt- und zwar quer durch alles Ressorts. Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, ist der Traum jedes Auslandskorrespondenten. Dabei war Beijing ursprünglich gar nicht die Traumstation von Georg Fahrion. Er studierte an der FU Berlin Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Er spezialisierte sich auf den Nahen Osten, war deshalb auch zwei Semester in Tel Aviv. Doch sein Berufsweg sollte ihn statt in den Nahen Osten in den Fernen Osten führen. Und das kam so: Nach dem Studium besuchte er 2009/10 die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Eines der obligatorischen Praktika machte er bei Financial Times Deutschland (FTD), die ihm nach der Absolvierung seiner journalistischen Ausbildung ein Jahr Vertretung als Asien-Redakteur im Auslandsressort angeboten hat. So kam er erstmals beruflich mit dieser Region in Berührung und war darüber „total happy“. Im Gegensatz zum Nahen Osten, wo Krisen und Kriege dominierten, war für ihn der Ferne Osten „eine dynamische Region, wo es vielen Menschen von Jahr zu Jahr besser geht“. Nach dem Vertretungsjahr bekam er eine Festanstellung bei der FTD. Er koordinierte die Asien-Themen des Blattes und reiste regelmäßig in die Region, darunter oft nach Myanmar, das sein Lieblingsland werden sollte. Ende 2012 wurde die FTD eingestellt, Fahrion wechselte innerhalb der Gruner+Jahr-Familie zum Wirtschaftsmagazin „Capital“ in Berlin. Dort schrieb er weiterhin über asiatische Themen und immer mehr über China. Seine wichtigste Geschichte aus dieser Zeit war die Enthüllung, dass das deutsche Hightech-Unternehmen Aixtron mit chinesischem Staatsgeld und nicht wie vorgetäuscht von Privatinvestoren übernommen werden sollte, woraufhin der Deal scheiterte. Zwischendurch nahm er sich ein Sabbatical, ging für ein halbes Jahr nach Myanmar, schrieb von dort über die Wahlen und die große alte Dame San Suu Kyi, darunter eine Spiegel-Story mit dem Titel „Die Entzauberte“. Als der Spiegel eine neue Asien-Stelle zu besetzen hatte, kam Fahrion ins Spiel. Es war nur noch nicht klar, wo die neue Stelle geschaffen würde: Bangkok oder Beijing. Die Redaktion entschied sich für Beijing. Fahrion musste kurz schlucken, eine Nacht darüber schlafen, um am nächsten Morgen zu sagen: „Ich mache das.“ So sitzt er nun in einer Bürogemeinschaft mit Fernseh- und Printkollegen an der Liangmaqiao Lu gegenüber der französischen Botschaft und kämpft mit den Widrigkeiten des journalistischen Alltags in China. „Die Recherche vor Ort ist schwieriger geworden“, sagt er, „es ist mittlerweile Standard, dass wir beschattet werden.“ Gerade war er in Sichuan, wo es nach dem Check-in keine 45 Minuten dauerte bis die Polizei vor der Hoteltür stand. Normalerweise dürfen Korrespondenten – bis auf Tibet – frei im Land reisen, aber Corona bietet den Behörden eine offenbar willkommene Gelegenheit, das Reisen und Recherchieren einzuschränken. „Ich habe immer einen frischen Covid-Test dabei“, sagt Fahrion, „das ist inzwischen so essenziell wie die Zahnbürste.“
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