Am Morgens des 14. Januar 2021 um 6.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür von Gang Chen in Boston. Der renommierte Forscher für Nanotechnologie am MIT (Massachusetts Institute of Technology) war gerade bei der Zubereitung seines Kaffees. Er öffnete die Tür und vor ihm standen – so genau kann er sich nicht mehr erinnern – zehn bis 20 FBI-Beamte. Sie bugsierten ihn in eine Ecke, verpassten ihm Handschellen, weckten Frau und Kind und nahmen ihn anschließend mit. Stundenlang wurde er verhört. Danach durfte er immerhin wieder nach Hause. Aber in der Folgezeit musste ihn das MIT auf bezahlten Urlaub setzen, er durfte nicht mehr auf den Campus und keine Kontakte mehr zu MIT-Kollegen haben. Die Anschuldigungen gegen Gang Chen lauteten: Überweisungsbetrug, Nicht-Deklarierung von Bankkonten und Abgabe falscher Erklärungen gegenüber US-Regierungsbehörden. Dadurch hätte sich Gang Chen amerikanische Forschungsgelder erschlichen. Über ein Jahr später, am 20. Januar 2022, wurden die Anschuldigungen fallengelassen. Gang Chen ist rehabilitiert, aber trotzdem schwer betroffen. In einem Interview mit “The New York Times” sagte er: “You work hard, you have good output, you build a reputation. The government gets what they want, right? But in the end, you’re treated like a spy. That just breaks your heart. It breaks your confidence.” Gang Chen wurde Opfer der „China Inititative“ des amerikanischen Justizministeriums. Und er ist nicht das einzige Opfer dieser Initiative, die 2018 vom damaligen Justizminister Jeff Sessions geschaffen wurde. Sie sollte chinesische oder chinesisch-stämmige Wissenschaftler in den USA aufspüren, die der Spionage, des Technologieklaus oder ähnlicher Betrügereien verdächtig waren. Die Initiative mutierte eher zu einer rassistischen Hexenjagd, die an die McCarthy-Ära der 50er Jahre erinnerte, als gegen linke Umtriebe – oder was die Amerikaner dafür hielten – massiv vorgegangen wurde. Inzwischen ist die „China Initiative“ selbst in die Kritik geraten. Die Autoren eines Artikels in der MIT Technology Review fällen ein vernichtendes Urteil über diese Initiative. Sie hätte bei weitem nicht den gewünschten Erfolg gebracht, stattdessen aber ein Klima der Furcht unter chinesisch-stämmigen Wissenschaftlern in den USA erzeugt. Die Konsequenz: Viele meist grundlos angefeindete Wissenschaftler verließen die USA. Für Yasheng Huang, Professor an der MIT Sloan School of Management, hat das fatale Folgen: „The US is losing some of its most talented people to mother countries because of the China Initiative. That´s bad for science, and that´s bad for America.” Sein angefeindeter MIT-Kollege Gang Chen, der als 25jähriger in die USA kam und inzwischen naturalisierter US-Bürger ist, ist nicht zurück nach China. Am 24. Januar kehrte er in sein Lab am MIT zurück- und wurde von seinen Kolleginnen und Kollegen begeistert gefeiert.
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