China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Wolfgang Ehmann (63).
Es war am Gepäckband des alten Flughafens Kai Tak in Hongkong. Wolfgang Ehmann und der damals neue Kammerchef Ekkehard Goetting warteten nach einer Vietnam-Reise gemeinsam auf ihre Koffer, als Goetting den jungen Ehmann fragte, ob er denn nicht bei ihm in der Kammer anfangen wolle. Ehmann, bis dato bei einer kleinen Beratungsfirma namens European Technology Center beschäftigt, wollte. Und so fing er am 1. Februar 1991 dort an und blieb bis heute der Kammer treu. Er hat unter zwei Chefs gedient – dem „ewigen“ Goetting und Wolfgang Niedermark – bis er schließlich nach Niedermarks Weggang zum BDI nach Berlin selbst Chef der Kammer wurde, allerdings nur kommissarisch. Ende des Jahres beginnt dann für den 63jährigen ein neuer Lebensabschnitt.
Wolfgang Ehmann ist einer dieser Old China Hands mit Sitz in Hongkong. Der gebürtige Heidenheimer ist keiner, der sich großmäulig in den Vordergrund schiebt, sondern diskret und unaufgeregt im Hintergrund wirkt. Hongkong ist seine zweite Heimat – oder ist es seine erste? Jedenfalls lebt er dort schon viel, viel länger als in Heidenheim, wo er einst am Hellenstein-Gymnasium Abitur gemacht hat. Danach studierte er Volkswirtschaftslehre in Freiburg. Mit Asien hatte er bis zum Examen nichts am Hut. Er war auch noch nie dort. Aber er hatte einen Vater, der damals das Büro des Heidenheimer Maschinenbauers Voith in Hongkong leitete und ihm nach Ende des Studiums dort den ersten Job vermittelte. Und so stieg er 1986 in Echterdingen in ein Flugzeug nach Brüssel, um von dort über Bahrain, Mumbai und Bangkok nach Hongkong zu fliegen. Er erinnert sich noch genau, wie er bei der Zwischenlandung in Bangkok „zum ersten Mal in meinem Leben den subtropischen warmen Dunst von Hitze und Feuchtigkeit“ spürte. „Es waren wohlige Gefühle“, sagt er. Rund zwei Stunden später landete er in Hongkong. Sein Vater holte ihn mit seinen zwei Koffern ab. Sie fuhren durch die Stadt, vorbei am gerade fertig gestellten futuristischen Gebäude der HSBC. Er staunte über das Lichter- und Häusermeer. „Ich habe mich dort spontan wohl und zuhause gefühlt.“ Eine Faszination, die auch die nächsten 35 Jahre andauern sollte – und die er noch mit einem anderen Land der Region teilt: Vietnam. Initiiert von seinem damaligen Chef Ekkehard Goetting, hat die deutsche Wirtschaft 1994 in Hanoi ein Büro eröffnet, das von der AHK Hongkong betreut wurde. Ehmann war dort der zuständige Mann. Fast jeden Monat flog er nach Hanoi. 2004 zog er dann mit der Familie für zwei Jahre nach Hanoi, vor allem um die Etablierung der Kammer in Ho-Chi-Minh-City vorzubereiten. „Das war ein wahnsinniger Akt“, erinnert sich. Aber viele deutschsprechende Beamte in der vietnamesischen Bürokratie halfen letztlich. Die AHK bekam im ehemaligen Saigon die Lizenz. Mission erfüllt, Ehmann konnte wieder zurück nach Hongkong. Aber es blieben viele gute Eindrücke vom Land: „Ich war ein großer Vietnam-Fan und bin es heute noch.“ Diese Abstecher nach Vietnam brachte auch Abwechslung in seine Kammertätigkeit. „Sie waren auch einer der Gründe für mich, so lange in Honkong zu bleiben.“ Neben dem Aufbau der Kammer in Vietnam stand auch die Etablierung einer Kammer im benachbarten Guangzhou an. Es war also auch immer außerhalb Hongkongs was zu tun. Ehmann hat deshalb in seinen 35 Jahren Hongkong nie ernsthaft überlegt, Job und Stadt zu verlassen, um eventuell woanders im großen Reich der deutschen Handelskammern zu arbeiten. Das hatte zum einen private Gründe: Er ist mit einer Hongkong-Chinesin verheiratet. Aber da war zum anderen auch der anhaltende Reiz Hongkongs: „Die magische Ausstrahlung dieser Stadt hat bei mir nie nachgelassen.“ Hongkong sei von der Topographie einmalig. Berge und Meer, Stadt und Land liegen dicht beieinander. Er schwärmt von den vorgelagerten Inseln und den Country Parks im Hinterland der New Territories. Ehmann ist in Hongkong zum Outdoor-Sportler geworden. Er fährt viel Rad („es gibt immer mehr Radwege“), läuft und wandert. Schon dreimal hat er am Trailwalker Marathon teilgenommen: 100 Kilometer Hiken durch die New Territories, dabei 8000 Meter Höhenunterschied überwindend.
Höhen und Tiefen erlebte er auch politisch wie wirtschaftlich in Hongkong. Als er anfangs der 90er Jahre bei der Kammer anfing, war bei vielen deutschen Unternehmen Aufbruchstimmung Richtung China. Hongkong war damals ein wichtiges Tor nach China. Dann kam 1997 die Asienkrise, 2003 Sars und später der immer stärker werdende Einfluss Beijings. Und gegenüber von Hongkong glitzert die neue Metropole Shenzhen, die in vielen Bereichen die ehemalige Kronkolonie überholt hat. Ehmann spricht von einem „sinkenden Stern Hongkongs“ und sagt: „Die Wahrnehmung Hongkongs als Standort hat in Deutschland mächtig gelitten.“ Die harten Corona-Bestimmungen trugen zudem zur negativen Stimmung bei. Ehmann sagt: „Corona wird mehr Schaden anrichten als das Sicherheitsgesetz.“ Einige Expats seien schon weg, andere spielten mit dem Gedanken zu gehen.
Er und seine Frau wollen bleiben. Deutschland oder gar Heidenheim ist für sie derzeit keine Alternative. Zumal Wolfgang Ehmann in Hongkong ja auch noch ein wichtiges Ehrenamt hat. Er ist Mit-Initiator und Organisator der Spätzle-Connection. Die Idee kam ihm und dem Banker Oliver Hoffmann, der aus Ulm stammt, irgendwann bei einem Business Lunch. Seitdem treffen sich Badener und Schwaben drei-, viermal im Jahr zu Speis und Trank, meist im Biergarten drüben in Kowloon. Zwischendurch sind die rund 30 „Mitglieder“ sehr aktiv in einer Whats-App-Gruppe. Dort wird viel Witziges und Kritisches (über die Hongkonger Regierung) gepostet, aber auch (Über-)Lebensnotwendiges in Zeiten von geschlossenen Restaurants. So lautet ein Post vom 20. Februar: „Morgen genug Zutaten für vier Wochen Spätzle kaufen.“
*Dieses Porträt erschien zuerst in der neuen Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage des China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik. Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw