HU IS HU? Manoj Kewalramani – Der Mann, der jeden Morgen die „People´s Daily“ liest und auswertet

Kürzlich wachte Manoj Kewalramani (42) in seiner Wohnung im indischen Bangalore mit Kopfschmerzen auf. Trotzdem stand er wie gewohnt um 5 Uhr auf, nahm eine Tablette, legte sich aber dann doch wieder hin. An normalen Tagen hätte er sich um diese Zeit an den Computer gesetzt und dort die Renmin Ribao (People´s Daily oder Volkszeitung) gelesen. Im Schnitt zweieinhalb Stunden liest er das Blatt auf dem Schirm, übersetzt Artikel und kommentiert sie. Und danach macht er seinen Newsletter „Tracking People´s Daily“ fertig und versendet ihn an Abonnenten in aller Welt. Manoj Kewalramani ist – das behaupte ich jetzt einfach mal – der einzige Mensch außerhalb Chinas, der sich so intensiv mit einer der drögesten Zeitungen der Welt beschäftigt: der chinesischen Tageszeitung People´s Daily. Sie ist das Blatt des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas. Offiziöser geht es nicht. 

Wer ist dieser Manoj Kewalramani? Und warum tut er sich das jeden Morgen an?

Er hat einen Bachelor in Wirtschaft in Indien gemacht, wollte dann einen MBA in den USA anschließen. Und dann kam 9/11. Dieses Datum hatte zwei Folgen für ihn: Er bekam kein Visum für die USA. Und er fing an, sich für Politik, insbesondere Internationale Beziehungen, zu interessieren.  Also studierte er International Relations im englischen Bristol.  Danach stieg er in den Journalismus ein.  Zu China kam er über seinen Vater, der eine Handelsfirma in Hongkong hatte. Von dort schrieb er ab 2011 für indische Medien. 2013 wechselte er nach Beijing, wo er bis 2016 für den Staatssender CCTV arbeitete. Danach ging er zurück nach Indien, wo er noch zwei Jahre für einen indischen Sender über Außenpolitik berichtete. „Aber dann wollte ich raus aus den Medien“, sagt er. Der Chef des privaten Thinktanks Takshashila Foundation fragte ihn, ob er nicht dort seine China-Erfahrung einbringen wolle. Kewalramani wollte. Bei Takshashila baute er inzwischen ein China Center auf, was seiner Meinung nach Not tut. Denn: „In Indien gibt es wenig Wissen über China.“  Was wundert, angesichts der langen Grenze zwischen den beiden Nachbarstaaten und der brisanten Lage zwischen den beiden asiatischen Großmächten. Über diesen Konflikt schrieb Kewalramani vor kurzem auch ein Buch: „Smokeless War: China´s Quest for Geopolitical Dominance.“

Bei der Recherche für dieses Buch las er regelmäßig „People´s Daily“ (PD). Zuerst machte er nur für sich Notizen, später – im Frühjahr 2020 – wurde daraus ein Blog, zu Jahresbeginn 2021 dann ein Newsletter, den er über die amerikanische Plattform Substack vertreibt. Warum ein so intensives Studium der PD? „Weil man dort erfährt, wie Chinas Führung tickt, welche Themen und Trends gesetzt werden“, antwortet Kewalramani. Freilich ist diese Lektüre des Parteiblattes nicht unbedingt ein Vergnügen. Häufig sind die interessanten Aussagen versteckt. „Oft lese ich Texte und denke, das kenne ich doch schon alles.“ Aber dann taucht er plötzlich auf, dieser eine Satz, der etwas Neues verkündet. Manchmal muss er auch zwischen den Zeilen lesen, was er inzwischen beherrscht. Und er erkennt frühzeitig Trends, wenn sich langsam Schlagworte und Parolen entwickeln. Wie zum Beispiel Anfang vergangenen Jahres, als erst vereinzelt, dann immer mehr über „red footprint“, „red history“ und „red culture“ geschrieben wurde. Nach einem Monat habe er gemerkt, dass sich da was ankündigt – nämlich die historische Resolution, die dann später verabschiedet wurde.

Es sind diese Entdeckungen, die Kewalramanis Newsletter so lesenswert machen. Er habe inzwischen Leser in aller Welt, sagt er. Besonders stolz ist er, dass ihn viele Ministerien in diversen Ländern abonniert haben. Gerade wurde er von Bill Bishop sozusagen geadelt. Der Gründer des weltweit besten China-Newsletters Sinocism nannte Kewalramanis Werk „one of my favorite E-mail newsletters“.

Es gehört verdammt viel Disziplin dazu, jeden Morgen so früh aufzustehen und People´s Daily zu lesen. Kürzlich hatte er eine Praktikantin. Aber sonst macht er das alleine. Er benutzt zwar eine Translation Machine, aber die sei doch mit vielen Fehlern behaftet, sagt er. Er lese natürlich auch die englische Ausgabe der People´s Daily, aber cross-checke das immer mit der chinesischen Originalversion.

An jenem eingangs erwähnten Freitag ist er dann doch noch trotz Kopfschmerzen aufgestanden und hat seine People´s Daily gelesen. „Ist das eine Sucht?“, frage ich ihn. „Ja, es ist wie eine Droge“, sagt der Info-Junkie und lächelt.

Info:

Hier kann der Newsletter von Manoj Kewalramani abonniert werden: https://stacksear.ch/for/@trackingpeoplesdaily

Und hier gibt es mehr über The Takshashila Foundation: https://takshashila.org.in/

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