Es ist ein Gemeinplatz, dass die Campingindustrie in China an Bedeutung gewinnt. Viele Chines:innen haben in den vergangenen Jahren das Campen als neue Art zu reisen entdeckt. Während uns nun aus Shanghai und anderen Städten Horrornachrichten aus dem Lockdown erreichen, berichtet Caixin davon, dass Reisen zu den klassischen Ausflugszielen rund um Peking explizit weiter erlaubt sind. (Bildgalerie: siehe Info). Dazu passt auch die Veröffentlichung einer neuen Campingkarte in den chinesischen Medien, die zeigt, wo man in China besonders gut zelten kann und wie man sich dabei am besten vor Hitze, Kälte oder Moskitos schützt
Wie aber passen Pandemie und Camping zusammen? Will man gerade wegen der Pandemie Reklame für das Outdoor-Reisen machen? Camping ist in Zeiten der Pandemie sicher besser als Massentourismus im Hotel. Andererseits zeigen die Bilder aus oben erwähnter Galerie, dass in China auch das Campen (zumindest im Auge des westlichen Betrachters) weit mehr an Massentourismus erinnert als an Individual- oder gar Abenteuerreisen. Zelten ist eben nicht gleich Zelten. Das weiß auch Tong Tong, ein junger Ingenieur, der uns von seiner Campingerfahrung berichtet.
Tong Tong, Jahrgang 1995, ist gelernter Ingenieur für Wasseraufbereitung. Er kommt aus der Inneren Mongolei, aus Ordos im Südwesten des Autonomen Gebietes. Zum ersten Mal Campen war er im Juni 2021. Der 27jährige interessierte sich zunächst für „outdoor survival“ und las darüber im Internet. Schließlich sah er auf Douyin Videos übers Campen und zog daraufhin selbst in die Natur hinaus.
„Ich war damals ein wenig niedergeschlagen“, erinnert er sich. „Lange Arbeitszeiten. Ich musste den Kopf frei kriegen.“ So kam ihm die Idee, mit Freunden und Zelt in die Berge zu fahren. Zwei Tage und eine Nacht verbrachten sie damals im Yinshan-Gebirge, einem Gebirgszug, der sich durch die Innere Mongolei bis in den Norden der Provinz Hebei zieht. Tatsächlich habe das geholfen, erzählt Tong Tong. Nach diesem Kurztrip sei es ihm wieder besser gegangen.
Das klingt nach dem Klassiker. Rucksack, Zelt und Isomatte: Eine unbequeme Nacht in der Natur und schon fühlen wir uns erholt. Aber für Tong Tong ist Campen etwas anderes. Es will gut vorbereitet sein. Er packt nicht einfach den Rucksack. Zelten geht nämlich auch komfortabler. Vor allem im China des 21. Jahrhunderts.
„Bequem zu schlafen, ist mir das wichtigste“ sagt Tong Tong. Darum packt er keine Isomatte ein, sondern zumindest eine aufblasbare Luftmatratze. „Nicht so bequem wie zuhause, aber ganz ok“, meint er. Auch das Zelt muss ein wenig mehr können: „Es muss gut isoliert sein und vor Kälte schützen. Die Nächte hier sind auch im Juni noch ziemlich kalt.“
Tisch und Stühle gehören in China auch zum Campingstandard. Tong Tong will darauf jedenfalls nicht verzichten. Und der einfache Gaskocher war gestern. Tong Tong und seine Freunde haben eine kleine Barbecue-Ausrüstung dabei. Sowie einiges an Proviant. Saucen, Gewürze, Marinaden. Und neben Obst, Gemüse, Bier und Chips, kommt bei Tong Tong sogar noch ein Blumentopf zur Dekoration mit auf den Campingtisch.
Das passt natürlich nicht alles in einen Rucksack. Muss es auch nicht. Denn der Ingenieur und seine Freunde fahren mit dem Auto. Da passt alles rein, einschließlich Kühltaschen mit Eis zum Frischhalten. Fast wie zuhause also. Nur eben in der Natur. Eine gute Methode der Pandemie zu entkommen und ein Stück Freiheit zurückzugewinnen.
Die Pandemie, sagt Tong Tong gleichwohl, habe seine Entscheidung nicht beeinflusst. Und auch mit Freiheit habe das für ihn nicht viel zu tun. Beim Zelten ginge es ihm einfach darum, abzuschalten. In der Natur zu entspannen. Tong Tong zeigt Fotos von seinem Zelt in der Nähe zum Parkplatz. Gleich neben der Gruppe um Tong Tong hat eine Familie mit Kind ihr Picknick ausgebreitet. Es erinnert in westlichen Augen mehr an einen Ausflug in den Stadtpark.
Und das Reiseziel? Die chinesische Campingkarte weist die Innere Mongolei als ein Gebiet aus, in dem Campen aufgrund des kühlen Klimas als Herausforderung gilt. „Ich komme ja von hier“, sagt Tong Tong und fügt hinzu: „Es war aber auch einfacher, hier zu reisen, weil man sich in Zeiten der Pandemie komplizierte Testverfahren sparen kann.“
Und die nächste Campingreise? Die geht ganz klar wieder in die Innere Mongolei. „Ich liebe es hier“, sagt er, „besonders das Grasland, dieses endlose Grün“.
Manchmal treffen Tong Tong und seine Freunde beim Zelten Hirten mit ihren Kühen oder Schafen. Dann wechseln sie stets ein paar Worte mit ihnen, erzählt Tong Tong. Auch das Leben der Hirten sei ja ein wenig wie Campen. „Tief im Grasland zwischen Jurten und Windkraft!“ Denn, so berichtet er weiter, auch die Hirten in der Inneren Mongolei hätten inzwischen kleine mobile Windkraftanlagen für den Eigenbedarf. Keine großen Windräder, aber genug für Licht und Handy.
Doch auch die großen Windräder seien in der Inneren Mongolei heute häufig zu sehen.
Stört das nicht genau das von ihm beschriebene „endlose Grün“ der Landschaft? „Finde ich nicht“, sagt Tong Tong. Seine Campingerfahrung scheinen die Windräder nicht zu beeinflussen. Wichtiger ist für Tong Tong die Freiheit mit dem Auto, oder besser: mit dem Elektroauto anzureisen. Besonders in einer Region wie der Inneren Mongolei, die noch immer als Kohleprovinz gilt. In Industriegebieten, berichtet Tong Tong, sei die Luftqualität noch immer nicht gut. Auch deshalb genießt er beim Campen mit seinen Freunden die Natur. Auf sehr chinesische Art und Weise. Mit Blumentopf, gutem Essen in Plastikverpackungen – und Windrädern im Hintergrund.
Info:
Bildergalerie vom Camping in Caixin: https://www.caixinglobal.com/2022-05-04/gallery-for-holiday-beijingers-head-to-the-suburbs-101880167.html).
Die Camping-Karte in der People´s Daily: http://ent.people.com.cn/n1/2022/0501/c1012-32412881.html).
China News berichtete zum Jahresbeginn von einem regelrechten Camping-Boom. Der Chinesisch-sprachige Artikel (https://www.chinanews.com.cn/life/2022/05-10/9750908.shtml) geht dabei auch auf die Geschichte des Campens in China ein.