China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Ulrike Glück.
Dieses Porträt erschien zuerst in der neuen Serie „Hirns Köpfe“ auf der Homepage von China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW). Das CNBW ist eine Plattform für Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, die zu einem besseren Verständnis insbesondere zwischen Baden-Württemberg und China beitragen möchte. Mehr unter: https://china-bw.net/de/cnbw
Im Hintergrund ihres Bildschirms ist beim Zoom-Gespräch die Skyline von Pudong zu sehen. Ist Ulrike Glück in Shanghai? “Nein”, sagt sie, “ich bin in Kirchheim”. Die Anwältin arbeitet derzeit in der schwäbischen Kleinstadt, als säße sie in der chinesischen Metropole. Wie bei so vielen Expats hat Corona auch ihr Leben durcheinandergebracht. Viele sitzen quasi in China fest. Lange Zeit kam auch Ulrike Glück nicht raus. Aber im März dieses Jahres musste es einfach sein. Ihre Mutter feierte im heimischen Kirchheim ihren 80. Geburtstag. Nachdem sie schon den Achtzigsten ihres Vaters im vergangenen November notgedrungen verpasst hatte, wollte sie diesmal unbedingt im Familienkreise mitfeiern. Im März reiste sie aus. Und seitdem ist sie hier. Schon seit zehn Jahren hat sie eine Wohnung in Kirchheim. “Das war immer mein Hub, wenn ich nach Deutschland kam.” Im Schnitt fünfmal im Jahr war Ulrike Glück vor Corona in Deutschland, immer verbunden mit Mandantenbesuchen. Ob Dax-Konzern oder Mittelständler – Glück berät deutsche Unternehmen in China. In Shanghai leitet sie das Büro der Kanzlei CMS.
“Aber ich hatte mich auch immer für Sprachen interessiert.” Durch Zufall habe sie mitbekommen, dass es in Passau einen Kombistudiengang gab. Erst war Japanisch im Fokus, “damals war Japan in aller Munde”, erinnert sie sich. Mitte der 80er Jahre, als sie mit dem Studium begann, war Japan die aufstrebende Wirtschaftsmacht. Aber für Japanisch waren an der Uni Passau nur zwei Jahre vorgesehen. Das war zu wenig für Ulrike Glück – sie sei keine Frau für halbe Sachen. “Ich bin jemand, der Sachen zu Ende bringen will.” Sie hörte sich um … und stieß auf Chinesisch. Eine berufliche Perspektive war anfangs nicht im Hinterkopf. “Ich hatte einfach Interesse an der Sprache und Kultur.” In Jura-Professor Ulrich Manthe fand sie einen interessanten Lehrmeister, der packend von seinen ersten China-Reisen in den 70er Jahren erzählen konnte.
Ulrike Glück reiste 1988 für ein Auslandsjahr zum ersten Mal nach Shanghai. Es gab Lebensmittelkarten, die Ausländerwährung FEC, es war ein sehr rückständiges Shanghai. Trotzdem habe sie damals die China-Leidenschaft gepackt. Sie studierte zu Ende, absolvierte ihr Referendariat und promovierte bei Ulrich Manthe. Für die Promotion ging sie 1993 nochmals nach Shanghai und verbesserte dabei auch ihre Lesefähigkeiten. Erst nach der Promotion machte sie sich Gedanken über ihre berufliche Laufbahn: Auswärtiges Amt? Universität? Rechtsabteilung? Nein, sie entschied sich, Anwältin mit China-Schwerpunkt zu werden. Begründung: “Ich hatte so viel Zeit für China investiert, dass ich dieses Wissen eine Zeit lang in der Praxis anwenden wollte, und das am besten als Anwältin in China.” Aus “eine Zeit lang” wurden schließlich fast 25 Jahre.
1998 ging Ulrike Glück für die Kanzlei Gleiss Lutz nach Shanghai, 2001 wechselte sie zu CMS zurück nach Deutschland. Kaum war sie in Frankfurt gelandet, bekam CMS die Lizenz für ein Büro in Shanghai. Also wieder rüber. Und seitdem ist sie dort und leitet das Büro, das inzwischen auf 35 Mitarbeiter angewachsen ist. Viel hat sich verändert. Die Aufgabengebiete zum Beispiel: Ende der 90er Jahre waren Joint-Ventures and WFOEs (Wholly-Foreign Owned Enterprises) das große Thema, dann kam nach 2010 das M&A-Business, und in den letzten Jahren ging es dann zunehmend um Restrukturierungen. Oder auch die internen Strukturen: “Früher hat fast jeder Anwalt alles gemacht, inzwischen geht aber ohne Spezialisierung gar nichts mehr.” Glück hat sich auf Gesellschaftsrecht, M&A und Restrukturierungen spezialisiert.
Und wie hat sich ihr Shanghai verändert? “Total, alles ist moderner, internationaler und einfacher geworden.” Die Stadt erinnere sie ein wenig an New York, wo sie einst im Referendariat bei der Commerzbank Station machte. Sie stelle hier die gleiche Energie fest. Auch kulturell habe Shanghai aufgeholt. Es gebe zudem jede Menge Restaurants, wo man draußen sitzen könne, und inzwischen auch Aldi, bei dem sie einkaufe und fast alles bekomme. Fast alles. Mohnback etwa für die geliebten Mohnschnecken oder auch Zutaten wie Orangeat zum Stollenbacken müsse sie nach wie vor importieren. Diese Backutensilien wird sie auch bei ihrer Rückreise nach China wieder im Gepäck haben. Nur wann wird das sein? “Die Lufthansa-Flüge nach Shanghai waren bis November ausgebucht.” Ulrike Glück hofft, mit einem der von der AHK im Oktober organisierten Charterflüge doch schneller zurückzukommen. So lange wird sie noch in ihrer Kirchheimer Wohnung sitzen und im Homeoffice arbeiten … und das kleinstädtische Leben genießen. “Ich finde hier den Kontrast zu Shanghai total angenehm. Die Wege sind kurz, die Luft ist gut, und es ist ruhig.”