China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn Letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine Old China Hand vorgestellt: Silvia Kettelhut (57).
Seit Herbst 2022 ist Silvia Kettelhut zurück in Deutschland. Mit ihrem Mann Wolfgang Röhr, dem ehemaligen Generalkonsul in Shanghai, lebt sie in Berlin. Über 20 Jahre hat sie in China verbracht, in Nanjing, Beijing und Shanghai. Die längste Zeit – insgesamt 16 Jahre – war sie freilich in Shanghai. Sie konnte den Boom der Stadt also mit eigenen Augen verfolgen. „Shanghai hat nach 2000 einen gewaltigen Aufschwung genommen“, sagt sie.
Dieses moderne China ist nicht zu vergleichen mit dem China, das sie in den 80er Jahren angetroffen hatte. 1984 begann sie mit dem Chinesisch-Studium am renommierten Seminar für Orientalische Sprachen an der Uni Bonn. Warum Chinesisch? „Damals zeichnete sich ab, dass sich in China etwas Großes entwickelt“. Gleichzeitig habe man hierzulande nicht viel über China gewusst. Diese Mischung aus dem Potenzial und dem Fremden habe sie gereizt, die Sprache dieses fernen Landes zu studieren. 1986 besuchte sie China zum ersten Mal. In Nanjing verbrachte sie ein Jahr an der dortigen Normal University. Ihre erste bittere Erfahrung: „Ich verstand nichts.“ Nanjing hua (南京话),der lokale Dialekt, war für sie fremd. Sie ließ sich freilich nicht entmutigen, studierte weiter und promovierte bei Wolfgang Kubin über Lao She, einen der bekanntesten modernen chinesischen Schriftsteller. Eines seiner Werke, 正红旗下, übersetzte sie 1992 als „Sperber über Beijing“ ins Deutsche.
Ende der 90er Jahre betreute sie für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Beijing das neue Progamm „Sprache und Praxis in China“. 2002 ging sie mit Röhr nach Shanghai, wo er Generalkonsul wurde. Bald darauf gründete sie die Gruppe „Explore Shanghai Heritage“, die sich vor allem mit den alten Gebäuden der sich schnell modernisierenden Stadt befasste. „Denkmalschutz war damals in China ein relativ unbekannter Begriff“, erinnert sie sich. Erst trafen sich in der Gruppe vornehmlich Ausländer, doch mit der Zeit wurde sie immer chinesischer. „Die Initiative hat dazu beigetragen, das Verständnis für den Erhalt traditioneller Gebäude zu verbessern“, sagt Kettelhut. Während dieses ersten Aufenthalts in Shanghai entstand das Buch „Geschäfte übernommen: Deutsches Konsulat Shanghai, Impressionen aus 150 Jahren.“ Den Erlös aus dem Verkauf spendete sie für kranke Kinder in Shanghai und den Nachbarprovinzen Anhui, Jiangsu und Zhejiang. Für ihr Engagement verlieh die Shanghai Charity Foundation ihr 2006 den Charity Star. Bis 2007 blieb die Familie – inzwischen um Tochter Sophia vergrößert – in Shanghai. Doch schon 2010 ging es wieder zurück in die Metropole, denn Röhr wurde dort erneut Generalkonsul. Kettelhut arbeitete als Wissenschaftsreferentin ebenfalls im Generalkonsulat und wechselte 2019 als Deutsche Dekanin an die Shanghai Dianji University. Seit 2014 forscht Röhr an der Tongji-Universität. 2022 zogen sie nach Berlin. Sie arbeitet weiterhin für die Shanghai Dianji University, unterrichtet an der TU Berlin und veranstaltet zusammen mit der Sinologin Ulrike Nieter den Salon „Things Chinese“. Ihre nächste Reise nach Shanghai, zum 70. Jubiläum ihrer Hochschule, ist schon geplant.