Janka Oertel schwebt gerade auf einer Erfolgswelle. Ihr Buch „Ende der China-Illusion“ läuft gut. Es beschert ihr, die auch sonst bei Lanz öfter über China redet, einige Fernsehauftritte, so zum Beispiel auf dem roten Sofa bei DAS! Im NDR. Beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung sitzt Oertel, die beim European Council on Foreign Relations (ECFR) Direktorin des Asien-Programms ist, auf dem Podium mit Jörg Wuttke. SZ-Redakteur Kai Strittmatter adelte sie als „seit Jahren viel präsente China-Beobachterin im Berliner Betrieb, eine der Klügsten.“ Ersteres stimmt. Und ja, sie ist auch klug. Aber der superlative Zusatz entspringt eher kumpelhafter Übertreibung. Bei Strittmatter ist nur klug, wer seine Meinung teilt. Alle anderen sind zumindest naiv. (Sorry, dieser kleine Seitenhieb musste sein).
Aber ich wollte ja über Janka Oertel schreiben. Also weiter im Text: Trotz oder wegen ihrer Erfolge reizte es die angesehene Thinktankerin, die Seite zu wechseln – von der Beobachterin zur Akteurin. Sie wollte in die Politik, ins Europaparlament, das nächstes Jahr im Juni neu gewählt wird. Und zwar für die Grünen. Die hatten mit Reinhard Bütikofer (70) bislang eine prominente China-Stimme im Straßburger Parlament. Er war „Mr. China“ im EP qua Amt, denn er war Vorsitzender der Delegation der Beziehungen zur Volksrepublik China. „Büti“ positionierte sich in den vergangenen Jahren eindeutig gegen Chinas Führung, die ihm den Gefallen tat und ihn mit einem Einreiseverbot versah, wodurch sich Bütikofer in der Märtyrerrolle profilieren konnte. Der alte Haudegen (mit Betonung auf Hau) tritt aber nun nicht mehr an.
Also eine ideale Vakanz für Janka Oertel (40). Sie bewarb sich um einen Listenplatz für die EP-Wahlen bei den Grünen. Diese Plätze wurden am vergangenen Wochenende beim Parteitag in Karlsruhe vergeben. Oertel kandidierte um Platz 13. Der würde auch bei einem relativ schlechten Abschneiden der Grünen noch reichen, um ins Parlament einzuziehen. Allerdings hatte Oertel eine Gegenkandidatin – Anna Peters, die frühere Bundessprecherin der Grünen Jugend, die dadurch gut in der Partei vernetzt ist. Die Seiteneinsteigerin Oertel verlor – auch weil sie noch in das Proporzgerangel der Landesverbände geriet.
Kontraproduktiv könnte auch ein Offener Brief gewesen sein, der in Karlsruhe verteilt wurde. 17 Kollegen aus dem Thinktank-Kosmos – darunter Mikko Huotari (Merics), Thorsten Benner (GPPi) und Angela Stanzel (swp) – machten sich darin für Oertel stark: „Wir würden uns (daher) freuen, wenn mit Janka Oertel eine der versiertesten China-Kennerinnen Deutschlands ins EP einzöge.“ Die Unterzeichner nannten ihr Papier „ein dezidiert nicht-parteipolitisches Unterstützungsschreiben“, als ob Janka Oertel eine politisch neutrale Person sei. Jedenfalls hat es nichts genützt.
Oertel nahm die Niederlage mit Fassung und meldete sich am Tag darauf auf X kämpferisch zurück: „Es hat nicht geklappt mit einem Platz auf der Grünen Europaliste, aber es gibt so viel zu tun in Sachen EU-China Politik & und das mache ich weiter – mit Leidenschaft.“
Info:
Wer Janka Oertel noch nicht kennt, kann sie zum Beispiel hier kennenlernen: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/das/DAS-mit-Politikwissenschaftlerin-und-Sinologin-Dr-Janka-Oertel,dasx33978.html