Ein Phänomen macht sich in Chinas Gesellschaft breit, das in Chinesisch duan qin (断亲) heißt. Man kann es als Bruch mit der Verwandtschaft übersetzen. Es besagt, dass sich junge Chinesen zunehmend von ihren Verwandten und zum Teil auch von ihren Eltern distanzieren. „Across the country, young Chinese adults are increasingly distanced themselves from their relatives”, stellt das Online-Magazin Sixth Tone in einem Artikel (27. November) fest. Die Diskussion über dieses Phänomen schwelt schon länger. Im Mai löste ein Artikel in Sanlian Lifeweek bereits eine Debatte darüber aus. Darin erklärte die Autorin Pan Duda, warum sie die Beziehungen zu ihren Verwandten gekippt hat. Anschließend machte die Zeitschrift Sanlian Lifeweek eine Umfrage. Fast die Hälfte der Befragten sagte, es sei normal, dass man diese Beziehungen kappe, da man die Verwandten eh selten sehe. 43 Prozent gaben sogar zu, dass viele Angehörige es schlicht nicht wert wären, sie zu besuchen. Das Phänomen des duan qin ist besonders bei sehr jungen Chinesen ausgeprägt. Sixth Tone zitiert Hu Xiaowu, Professor an der Nanjing Universität: „While the post-’70s and post-’80s generations still care and miss their network of kinship despite a lack of contact due to long-time separation and busy schedules, the post-’90s and post-’00s disconnect from their relatives both behaviorally and emotionally.” Gründe für dieses Verhalten gibt es einige. Es sind völlig neue Familienstrukturen entstanden, die alten Familienbande haben sich aufgelöst. Viel mehr Chinesen leben als Single oder in DINK-Haushalten (Double Income, No Kids). Dies ist auch eine Folge der Urbanisierung, die in den vergangenen Jahren rapide zugenommen hat. Die junge städtische Bevölkerung hat sich zunehmend von der ländlichen entfremdet. Den Jungen sind Freunde wichtiger als Verwandte, sagt Soziologie-Professor Chang Qingsong (Xiamen University) in Sixth Tone: “In a modern society, the influence of secondary relationships like friends and colleagues has been on the rise. More and more people are inclined to prioritize making friends over spending time with relatives.” Außerdem sind viele junge Chinesen, vor allem junge Frauen, es leid, permanent von Eltern und Verwandten unter Druck gesetzt zu werden mit Fragen, warum sie noch nicht verheiratet sind und warum sie noch keine Kinder haben. Diese Auflösung der traditionellen Familienstrukturen hat politische Implikationen. Darauf weisen Nicholas Eberstadt und Ashton Verdery in der lesenswerten Studie „China´s Revolution in Family Structure“ hin. Weil viele der jungen Chinesen als Versorger ihrer Eltern ausfallen, „has China to build a huge social welfare state over the coming generation.“
Info:
Hier der Artikel in Sixth Tone: https://www.sixthtone.com/news/1014158
Hier die Studie „China´s Revolution in Family Structure“ https://www.aei.org/wp-content/uploads/2023/02/Chinas-Revolution-in-Family-Structure.pdf?x91208