Drei Kandidaten stellen sich am 13. Januar zur Wahl für das Amt des Präsidenten. Alle drei haben langjährige Erfahrung als Bürgermeister, aber alle drei haben wenig internationale Erfahrung. Und damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Ich will im Folgenden die drei Bewerber um das höchste Amt etwas genauer vorstellen.
Lai Ching-te (64, DPP): Er musste schon in seiner Kindheit und Jugend kämpfen, was seine heutige starke Arbeitsethik geprägt hat. Er war gerade zwei Jahre, alt als sein Vater starb. Bei sechs Kindern war das Geld stets knapp. Trotzdem schaffte er es zu studieren. An der National Cheng Kung Universität in Tainan und der National Taiwan University in Taipeh studierte er Medizin. Seinen Master machte William Lai, wie er im Westen häufig genannt wird, in Harvard. Er wurde Spezialist für Erkrankungen des Rückenmarks. Er praktizierte lange in diesem Fach, bevor er 1996 in die Politik wechselte. Das ausschlaggebende Moment war für ihn damals die sogenannte dritte Taiwanstraßen-Krise. Auslöser war der US-Besuch des Präsidenten Lee Teng-hui, was zu schweren Verstimmungen zwischen den USA und China und zu diversen Manövern vor der Küste Taiwans führte. Lai war erst Abgeordneter für Tainan, später von 2010-2017 Bürgermeister von Tainan, einer Metropole im Süden des Landes. 2017 machte ihn die Präsidentin Tsai Ing-wen erst zum Ministerpräsidenten und im Mai 2020 zum Vizepräsidenten. Aus dieser Rolle des Stellvertreters heraus will er nun Tsai nachfolgen. Als Parteivorsitzender hat Lai sie schon beerbt. Seit Januar 2023 ist er Chef der DPP. Lai, der im August in den USA weilte, beschreibt sich als „pragmatic political worker for Taiwanese independence“. Als Kandidatin für den Stellvertreterposten nominierte er Hsiao Bi-khim (52). Sie war bis zu ihrer Nominierung „Botschafterin“ Taiwans in Washington und nennt sich „cat warrior“ im Gegensatz zu den „wolf warriors“, wie sich manche Diplomaten der Volksrepublik bezeichnen.
Hou Yu-ih (66, KMT): Auch Hou stammt wie Lai aus einfachen Verhältnissen. Aufgewachsen im Süden des Landes gehört er zu den benshengren (本省人). Sie sind schon vor 1949 vom Festland nach Taiwan übergesiedelt (die Festlandchinesen, die mit Chiang Kai-shek 1949 nach Taiwan flohen, nennt man waishengren 外省人). Hou studierte an der Zentralen Polizeiuniversität und machte anschließend Karriere im Polizeidienst, die ihn bis in das Amt des Direktors der Nationalen Polizeiakademie Taiwans führte. 2010 wechselte Hou in die Kommunalpolitik und wurde stellvertretender Bürgermeister von Neu-Taipeh – einer Stadt, die 2010 aus den fusionierten Gemeinden des Landkreises Taipeh gegründet wurde. Seit 2015 ist Hou Bürgermeister dieser Stadt, die mit vier Millionen Einwohnern die größte des Landes ist. Aufgrund dieser kommunalen Vergangenheit wird ihm mangelnde internationale Erfahrung vorgeworfen. Im September war er in den USA. Just zu diesem Zeitpunkt erschien in Foreign Affairs ein Artikel von ihm mit dem Titel „Taiwan´s Path Between Extremes“. Er spricht sich gegen eine formale Unabhängigkeit aus, aber auch gegen die von Beijing favorisierte Hongkong-Lösung von „einem Land, zwei Systeme.“ Als seinen Vize nominierte er allerdings mit Jaw Shaw-kong (73) einen Hardliner. Der Chef des TV-Senders Broadcasting Corporation of China (BCC) gilt als Verfechter einer Vereinigung mit der Volksrepublik.
Ko Wen-je (64, TPP): Wie Lai ist auch Ko Mediziner. Er studierte an der National Taiwan University. An der dortigen Klinik arbeitete er auch bis 2014 als Chirurg, der sich vor allem bei Organtransplantationen einen Namen machte. In der Klinik entstand auch sein Spitzname Ko P oder auch KP, ein Kürzel für Professor Ko. 2014 kandidierte er als unabhängiger Kandidat bei der Bürgermeisterwahl von Taipeh – und gewann. 2018 konnte er den Wahlerfolg wiederholen. Am 6. August 2019 – seinem 60. Geburtstag – gründete er eine neue Partei, die Taiwanesische Volkspartei, deren Vorsitzender er natürlich wurde. Ko war lange Zeit ein Anhänger von Tsai Ing-wen, distanzierte sich aber zunehmend von ihr und näherte sich außenpolitisch der KMT an. Gleichwohl sagte er einmal über die KMT: „Ich hasse nichts im Leben so wie Moskitos, Kakerlaken und die Kuomintang.“ Ko – werfen ihm Kritiker vor – sei erratisch in seinen Ansichten. Man wisse nicht, wo er steht. Zu seiner Stellvertreter-Kandidatin wählte er Cynthia Wu (45), die seit 2022 im Parlament sitzt und deren Familie die Mehrheit an der Shin Kong Group besitzt – einem der größten privaten Mischkonzerne Taiwans.
Info:
Bloomberg führte mit allen drei Kandidaten Interviews. Hier mit Lai Ching-te: https://www.youtube.com/watch?v=FkI9OMs7tWY
Hier mit Hou Yu-ih: https://www.youtube.com/watch?v=cfrGmK4s0qQ und hier mit Ko Wen-je: https://www.youtube.com/watch?v=85DVG3xd90Q