Taiwan hat gewählt – einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Neuer Präsident wird Lai Ching-te von der Demokratischen Fortschrittspartei (Democratic Progressive Party/DPP). Er wird damit die Nachfolge seiner Parteifreundin Tsai Ing-wen antreten, die nach zweimaliger Amtszeit (2016-2024) nicht mehr wiedergewählt werden konnte. Ihr Nachfolger Lai erhielt 40,1 Prozent der Stimmen. Da in Taiwan die relative Mehrheit reicht, wird Lai im Mai zum neuen Präsidenten des Inselstaates vereidigt werden. Das Ergebnis von rund 40 Prozent liegt allerdings deutlich unter dem seiner Vorgängerin. Tsai erhielt 2016 rund 56 Prozent der Stimmen und 2020 mit 57,1 Prozent noch einige Prozentpunkte mehr. Dass Lai schlechter abschnitt, erklärt sich vor allem damit, dass zum ersten Mal drei Kandidaten zur Wahl antraten: Neben Lai noch Hou Yu-ih (Kuomintang, KMT) und Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (Taiwan People‘s Party, TPP). Während die KMT schon seit Jahrzehnten der Dauerrivale der DPP ist (und auch immer mal wieder den Präsidenten gestellt hat), trat die TPP zum ersten Mal an. Ursprünglich wollten die beiden Herausforderer Hou und Ko gemeinsame Sache machen, konnten sich aber letztendlich auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. So siegte eben Lai mit rund 40 Prozent vor Hou (KMT) mit 33,5 Prozent und Ko (TPP) mit 26,5 Prozent. Auch wenn er nur Dritter wurde, ist dies für Ko ein großer Erfolg.
Ko wird in Zukunft eine wichtige Rolle in der taiwanesischen Politik spielen. Das erklärt sich aus dem Ergebnis der Parlamentswahlen, die gleichzeitig mit der Präsidentenwahl stattgefunden haben. Im Legislative Yuan (113 Sitze) wird nämlich keine der beiden bislang dominierenden Parteien DPP und KMT die Mehrheit haben. Die KMT kommt auf 52 (plus 14) und die DPP auf 51 Sitze (minus zehn). Die TPP erzielte acht Sitze, ist also künftig der Mehrheitsbeschaffer. Diese Konstellation hat es bislang nicht gegeben. Ko spricht deshalb von „einer neuen Ära in der taiwanesischen Politik“. Er verkündete am Wahlabend, dass sich seine Partei aber nicht festlegen will: „We will cooperate with whoever is right.“ Der Politikwissenschaftler Hsiao Yi-ching (National Chengchi University) sagt deshalb laut South China Morning Post: „I believe there will be cooperation on a case-by-case basis instead of fixed coalition.” Eine erste wichtige Entscheidung steht bereits am 1. Februar an, wenn der Sprecher des Parlaments gewählt wird. Für die DPP, die den Präsidenten stellt, wird es jedenfalls schwieriger werden als bisher sich durchzusetzen. Sie muss sich nun bei Gesetzesvorhaben stets Mehrheiten im Parlament suchen. Der zukünftige Präsident Lai hat in seiner Rede am Wahlabend angesichts dieser „neuen Struktur in der Gesetzgebung“ vor allem „communication, consultation, participation and cooperation“ eingefordert. Wie sich diese Konstellation auf die China-Politik des Präsidenten auswirken wird, muss man abwarten. Die beiden oppositionellen Parteien KMT und TPP treten für eine etwas konziliantere Politik gegenüber der Volksrepublik China ein. Lai, der von China als Separatist und Troubleshooter bezeichnet wird, schlug am Wahlabend etwas versöhnlichere Töne an: „We must replace encirclement with exchanges, and confrontation with dialogue.“
Info:
Die Rede des Siegers Lai Ching-te am Wahlabend: https://www.bloomberg.com/news/videos/2024-01-13/dpp-s-lai-speaks-after-taiwan-election-win-full-speech-video