In Dongyang in der Provinz Zhejiang steht eines der größten – manche sagen auch das größte – Filmgelände der Welt: die Hengdian World Studios. Mitte der 90er Jahre von dem Unternehmen Hengdian Group aus dem Ackerboden gestampft stehen dort heute Repliken vieler historischer Bauten und über 130 Filmstudios. Viele Blockbuster bekannter Regisseure wurden dort gedreht. Zum Beispiel Crouching Tiger, Hidden Dragon oder Mulan.
Doch seit ein paar Monaten tummeln sich auf dem weitläufigen Gelände weniger bekannte Filmcrews, besetzt mit maximal zweitklassigen Regisseuren und nicht viel besseren Schauspielern. Ihnen geht es nicht um Qualität, sondern um Quantität. Sie produzieren Filme und Filmchen quasi am Fließband. Sie sind Akkordarbeiter eines neuen Trends, der in China begonnen hat und nun auch die Welt zu erobern scheint: Ultrashort Dramas.
Was ist das? Das sind kurze Episoden von ein bis drei Minuten Länge, produziert in Schmalspurformat fürs Handy statt für die breite Leinwand. Am Ende jeder Episode steht idealerweise ein sogenannter cliffhanger der neugierig auf die nächste Episode machen soll. Diese Episoden summieren sich dann zu einem Werk in Spielfilmlänge. Aus 50 bis 70 Episoden bestehen in der Regel solche eher seichten Dramen, in denen es meist um Liebe und Intrigen geht.
Das Geschäftsmodell ist simpel: Die ersten fünf bis acht Episoden sind frei, aber danach muss man bezahlen (oder man entscheidet sich für die Werbevariante und wird dauernd mit Werbe-Spots belämmert). Man bezahlt pro Episode oder schließt ein Abo ab. Bezahlt man pro Episode, kann das leicht einen Betrag von über zehn Euro ergeben. Das ist mehr, als ein Film bei Netflix kostet.
Die Idee hatte die Hollywood-Legende Jeffrey Katzenberg. Er startete 2020 mit dem Unternehmen Quibi (Quick Bites, schnelle Happen). Doch trotz finanzieller Anschubfinanzierung durch große Konzerne wie Walt Disney oder Viacom fiel nach nur einem halben Jahr der Vorhang für Quibi. Katzenberg machte zwei große Fehler: Die Episoden waren mit sieben bis zehn Minuten zu lang, und er drehte ziemlich aufwendig mit teuren Stars.
Genau diese Fehler versuchten die chinesischen Nachahmer zu vermeiden. Ihre Episoden waren wesentlich kürzer, und sie arbeiteten mit unbekannten Schauspielern und solchen, die es erst noch werden wollten. So konnten die Produktionskosten niedrig gehalten werden. In China wurden diese Mini-Serien schnell zu einem Renner. Berühmte Serien wie „Hey! The Queen is Coming to Work“ oder “Soaring Dragon” hatten innerhalb von 24 Stunden über 12 Millionen Abonnenten. Basierend auf dem heimischen Erfolg wagten sich die chinesischen Produzenten ins Ausland. Erst untertitelten sie ihre chinesischen Streifen, doch bald ließen sie auch ausländische Schauspieler auftreten und sie begannen im Ausland zu drehen – sogar in Hollywood. So hat zum Beispiel COL Media, ein digitaler Content Provider mit Sitz in Beijing, inzwischen mehrere Studios im amerikanischen Filmmekka.
COL ist die Muttergesellschaft der App Reel Short. Sie ist derzeit der Marktführer bei Ultrashort Dramas. Im November hatte sie in den USA für ein paar Tage sogar mehr Downloads als TikTok. Weil nicht nur Reel Short, sondern auch chinesische Konkurrenten wie Dramabox, Good Short oder 99TV inzwischen im Ausland erfolgreich sind, sprechen manche schon von einem neuen Trend. Für das Online-Magazin Sixth Tone sind die Ultrashort Dramas „the next big Chinese cultural export after TikTok“.
Info:
Hier die Homepage von Reel Short: https://www.reelshort.com/
Und hier von Dramabox: https://www.dramaboxapp.com/ und Good Short: https://www.goodshort.com/