WIRTSCHAFT I Stephen Roach und China – das Ende einer jahrzehntelangen Liebe

Ende der 80er Jahre kam der junge Banker Stephan Roach zum ersten Mal nach Hongkong. Spektakulär war für ihn damals der Anflug auf den alten Flughafen Kai Tak mitten in der Stadt. Und nach der Landung begeisterte ihn die „extraordinary energy of the business community“. Damals hätten die Hongkonger eine Vision und eine Strategie gehabt. Ja, er hätte sich verliebt in diese Stadt. Und nun? Aus, vorbei, Trennungsschmerz: „It pains me to say Hong Kong is over“. So lautete die Überschrift in seinem Meinungsartikel – oder man kann auch sagen seinem Abschiedsbrief – in der Financial Times (FT) vom 12. Februar.

Stephen Roach (78) war lange Zeit Asien-Chef der Investmentbank Morgan Stanley mit Sitz in Hongkong. Derzeit lehrt er noch an der Yale Universität. Roach galt lange Zeit als China-Versteher und alter Freund Chinas.

Den Niedergang der Stadt machte der Banker in dem FT-Artikel am Absturz der Hongkonger Börse fest: Hongkong „had the world’s worst-performing stock market over the past quarter of a century.“ Er machte hierfür drei Gründe aus: die Hongkonger Politik, die vor allem unter Carrie Lam immer Beijing-höriger geworden sei; den China-Faktor („the Chinese economy has hit a wall“); und globale Entwicklungen, vor allem die US-China-Rivalität. Damit auch die Hongkonger, die nicht die Financial Times lesen, seine Gedanken mitbekamen, legte er in der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post am 27. Februar nach: „Why I am making ‘good trouble’ for Hong Kong, the city I love”. Die beiden Artikel von Roach wurden natürlich auch in Beijings Führung aufmerksam gelesen und diskutiert. Wie soll man mit diesem alten Freund Chinas umgehen, der plötzlich gar nicht mehr so freundlich zu China ist? Die Frage musste schnell geklärt werden, denn am 24. und 25. März stand das China Development Forum (CDF) an, bei dem sich Chinas Führung alljährlich mit Top-Managern und -Experten aus aller Welt trifft. Roach war bis auf das allererste Forum 2000 bei all diesen Treffen dabei, meist hielt er dort Reden. Auch dieses Jahr war er wieder eingeladen, aber er durfte in den öffentlichen Sitzungen nicht reden. Im Vorfeld sei ihm signalisiert worden: „It is very likely that whatever you say at the CDF in a public setting will be misinterpretated by media, which is not in the best interest of you or us.” Dies schrieb ein offensichtlich frustrierter Roach am 4. April auf seiner Homepage. In dem Artikel „What’s the Point?“ berichtet er zuerst von den Anfängen des CDF unter dem legendären Ministerpräsidenten Zhu Rongji: „He believed in the power of debate and exchange between senior Chinese leaders and foreign ‘experts‘.“ Und heute? „Anyone who raises questions about problems, or even challenges, faces exclusion from the public sessions.” Er schloß den Artikel mite in paar persönlichen Bemerkungen: “ I’d be lying if I didn’t say all this saddens me. I still have great admiration for the Chinese people and for the miraculous transformation of China’s economy over the past 45 years.“ Und: “In the end, I intend to keep showing up and to keep pushing for free and open debate in China. And I will continue to do so in the spirit of Deng Xiaoping’s famous credo of “seeking truth from facts.” I am not giving up. That’s the ultimate point of it all.“

Info:

Der Artikel in der Financial Times: https://www.ft.com/content/27a2c28e-d28b-444c-97fd-4616ed32c675?fbclid=IwAR2Y7Za2zNspCueSwRGb-2RxM0JLWAmbuQxSW3QXa4GMPTLkwbT0f246NIY

Und hier der Artikel in der South China Morning Post: https://www.scmp.com/comment/opinion/world/article/3253200/why-i-am-making-good-trouble-hong-kong-city-i-love

Hier der Artikel „What’s the Point?“ auf seiner Homepage: https://stephenroachauthor.com/views-from-a-friend/

Und hier ein Interview mit Roach: https://www.youtube.com/watch?v=ZSoueFKKB6M&t=3s

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