Wan Hua Zhen schrieb Ende Juli in der 88. Ausgabe von CHINAHIRN unter der Überschrift „Trump 2.0“: „Zwei aus unterschiedlichen Gründen angeschlagene Giganten der Weltpolitik und der Weltwirtschaft (USA und China) stolpern einem Trump 2.0 entgegen.“ Nun ist es so weit. Obwohl die offizielle Amtsübergabe erst in zwei Monaten ist, wirft Trump 2.0 schon jetzt seine Schatten voraus. Es ist nicht ohne bittere Ironie, dass Joe Biden, der seine Präsidentschaft dem politischen Imperativ „Demokratie gegen Autokratie“ unterworfen hat, nun das mächtigste Amt der Welt ausgerechnet an Donald J. Trump übergeben muss. Dass Trumps Rückkehr diesmal, anders als 2016, durch eine klare Mehrheit beim „popular vote“ legitimiert wurde, macht die Katastrophe endgültig perfekt. Der scheidende 46. amerikanische Präsident verabschiedet sich also mit der doppelten Bitterkeit: dem erzwungenen Rückzug durch seine Partei und dem späten Triumph des einstigen (schlechten) Wahlverlierers. Eine vertane Chance historischen Ausmaßes.
Aus diesem Anlass möchte Wan Hua Zhen ein damals im Juli von ihm verwendetes Zitat von Thomas L. Friedman (New York Times) wiederholen: „Gute Ideen – Menschenrechte, Demokratie, freie Märkte … – gewinnen in der Welt nicht deshalb, nur weil sie gute Ideen sind. Sie verbreiten sich und werden angenommen, wenn andere sehen, dass sie in den Ländern, die sie praktizieren, Gerechtigkeit, Wohlstand, Chancen und Stabilität schaffen.“ Die Biden-Regierung hat unter dem Strich zu wenig geliefert für die Durchschnittsbürger der USA. „Zölle und Subventionen verbessern das tägliche Leben der großen Wählerschaft im ganzen Land NICHT“, schrieb Wan Hua Zhen. Die Fortsetzung und Verschärfung des Trumpschen Handelskrieges gegen China macht sich unter Biden im Lebensalltag seiner Wähler bemerkbar, nur leider nicht in der amerikanischen Handelsbilanz. Also holten die Wähler doch lieber das vermeintliche Original zurück, zum Verdruss vor allem der westlichen Welt.
Und wie reagierte China? Schon Minuten nach der Bestätigung von Trumps Sieg gab die chinesische Währung kräftig nach. Der Devisenmarkt nahm die kommenden Einschläge an der Handelsfront (Zollerhöhungen!) vorweg. Dagegen schossen die Kurse an den Börsen in Shanghai und Shenzhen hoch, in der Erwartung auf weitere fiskalische Interventionen durch die chinesische Regierung.The Economist hatte es eine Woche zuvor geahnt: „Why China may be saving its bazooka [JB1] for Donald Trump.” Denn nur drei Tage nach Trumps Wiederwahl kündigte China ein 1,4 Billionen Dollar schweres Paket (über 5 Jahre) an, um die Schuldenprobleme der regionalen und lokalen Regierungen zu bekämpfen. Das dürfte nicht die letzte große Maßnahme bleiben.
Die Ausblicke auf Trump 2.0 scheinen, wie schon im Wahlkampf, zweigeteilt zu sein in der chinesischen Öffentlichkeit jenseits der offiziellen Kanäle. „China und Europa werden einander wieder mehr brauchen“, oder „China wird den Sektor der erneuerbaren Energie noch mehr dominieren“, orakelten die Optimisten. „TikTok-Verbot wäre hinfällig“, oder „Elon Musk wird sich zwischen Trump und Realität einschalten“, spekulieren die anderen. Auch eine praktische Frage der Diplomatie wurde aufgegriffen: „Viele, die für das neue Trump-Kabinett gehandelt werden, stehen auf der chinesischen Sanktionsliste. Rubio, Navarro, O’Brien, Pottinger, Pompeo … Also treffen sich die Außenminister beider Länder in den nächsten vier Jahren nur noch in Singapur oder in der Schweiz?“ (Pompeo wurde inzwischen von Trump als Kandidat gestrichen.)
Bei den Geostrategen, die sowohl Beijing beraten als auch im Westen Gehör finden, überwiegen die Sorgen. Eine Warnung kam von Professor Da Wei. Er ist Direktor des Center for International Strategy and Security (CISS) an der Tsinghua Universität, einer der wichtigsten geopolitischen Denkfabriken Chinas. In einem großen Interview am 7. November sagte er: „Die chinesisch-amerikanische Beziehung unter Trump 2.0 hat nur die Wahl zwischen Beibehaltung des schlechten Zustands (unter Biden) oder einem noch tieferen Absturz. Vor allem im ersten Jahr seiner Amtszeit könnte sich die Beziehung in einem freien Fall wiederfinden.“
Vergleicht man die zwei Texte, womit Präsident Xi dem „President-Elect“ Trump zum Sieg gratulierte, fallen die Unterschiede auf, wie China seine Prinzipien für die bilaterale Beziehung markierte. 2016 hieß es wörtlich: “avoiding conflict and confrontation, mutual respect and cooperation based on win-win.” Jetzt im Jahr 2024: “mutual respect, peaceful co-existence and cooperation based on win-win”.
Wer China ein bisschen kennt weiß, dass eine solche Wortwahl nie ein Zufall sein kann. Dass „gegenseitiger Respekt“ nun an erster Stelle steht, kann man so interpretieren: „Wir haben uns vorbereitet auf Ihre Rückkehr, Präsident Trump.“ Andererseits: Wenn Trump eins nicht kann, dann ist es „mutual respect“ …
Die Hürden sind also hoch, die Erwartungen niedrig.
Mein Artikel „Trump 2.0“ vom Juli endete übrigens mit einem Blick auf die EU: „What would Europe do if Donald Trump is re-elected next year?’ fragte The Economist im Juli 2023.“ Das war schon damals eine sehr kluge Frage. Heute ist sie zu einer essenziellen Frage avanciert. Nun segelt die EU in Trump 2.0 hinein, mit wenig finanziellem Spielraum, schwacher Verteidigungsfähigkeit aus eigener Kraft, kaum unabhängiger technologischer Basis für Digitales und KI, und obendrein innenpolitischen Krisen in Frankreich und Deutschland.
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Hier erfahren Sie mehr über die Kolumne und deren Autor:
[JB1]Was heißt „Bazooka“?