Kurz nach meiner letzten China-Reise führte das Land die 15-tägige Visumfreiheit für Reisende aus dem Ausland ein. Diese neue Regelung startete am 1. Dezember 2023. Der Verzicht in diesem Fall auf den Grundsatz der Gleichbehandlung war ein Novum für China. Deutschland gehörte zu den ersten sechs Ländern, deren Staatsbürger bei Einreise von der Regelung profitieren konnten. Mittlerweile umfasst die Gruppe der “bevorzugten” Länder 38 Staaten. Rechtzeitig vor Ablauf der damals einjährigen Befristung wurde die Maßnahme bis Ende 2025 verlängert. Mehr noch, seit dem 30. November 2024 wurde die Visumfreiheit auf 30 Tage ausgeweitet. Nicht in der Gruppe dabei sind aus Europa allerdings Schweden, Litauen und Tschechien. Offenbar will man, dass es auffällt.
Wer kein China-Visum hat, gibt die Daten des Weiterflugs bzw. Rückflugs auf dem obligatorischen Einreiseformular an. Mein Rückflug von Shanghai nach Deutschland liegt jenseits der 15-Tage Grenze. Prompt verweigerte das Lufthansa-System noch in Hamburg den Check-in. Stattdessen verlangte es die Vorlage eines gültigen Visums. Nachdem ich vorzeigen konnte, dass ich einen Weiterflug aus China heraus mit einer anderen Fluggesellschaft besaß, konnte man das auf den Standard “Hin- und Rückflug” programmierte System manuell überstimmen.
Ganz so sicher war ich mir aber während des zwölfstündigen Flugs nach Shanghai dennoch nicht. Ich bin ja immer mit einem Visum nach China gereist. Zudem sieht mein Reiseplan diesmal einen Flug von Kunming nach Taipeh vor. Von dort komme ich später wieder zurück nach Shanghai. Ich nutze also die Einreiseregelung gleich zweimal, mit Taiwan als Unterbrechung. Aber was wäre, wenn der Grenzbeamte anfangen würde, mit mir über „Taiwan ist ein Teil Chinas“ zu diskutieren?
Später würde meine Schwester, nachdem ich ihr davon erzählt hatte, mich auslachen, ich hätte zu viel Schlechtes über China gelesen. „Immer das Schlechteste annehmen, um dann zu kompliziert zu denken.“ Scharfzüngig war meine Schwester schon immer. Die Realität gibt ihr recht: Die Einreise nach China ist problemlos. Frage ich in Deutschland Menschen mit Reiseerfahrungen nach China und in die Vereinigten Staaten, antworten 9 von 10 (und das ist noch höflich gesagt), dass die Einreise in China unkomplizierter und weniger unfreundlich sei. Die Corona-Zeit sei ausgenommen, fügen diejenigen hinzu, die auch zwischen 2020 und 2022 reisen mussten.
Bei der Ankunft in Shanghai ging es schnell: Zehn Minuten Fußweg vom Gate, fünf Minuten Warteschlange (der internationale Bereich am Pudong Flughafen war ähnlich leer wie im Vorjahr) und zwei Minuten am Schalter einschließlich Fingerabdrücken – dann war ich durch. Ich musste nichts vorzeigen außer dem ausgefüllten Formular. Keine Frage zum Weiterflug. Es kam überhaupt keine einzige Frage. Am Schalter links und rechts von mir ging es ähnlich zügig. Einzige leise Enttäuschung: Es gibt nicht mal einen gesonderten Stempel für die visumfreie Einreise. Na gut.
Willkommen im Land des Systemrivalen.
Natürlich werde ich noch berichten, wie es später in Guangzhou und dann zum Schluss wieder in Shanghai mit der Aus- und Wiedereinreise funktioniert hat. Darüber hinaus werde ich in dieser Kolumne in den nächsten Ausgaben schreiben, was mir unterwegs aufgefallen ist und was ich entlang meiner Reiserouten gelernt habe.
Ich reise jedes Jahr nach China. Die aktuelle Reise findet in meinem persönlichen „Breakeven“ Jahr statt. Denn zusammen gezählt habe ich anno 2024 je 28 Jahre in China und in Deutschland gelebt. Aus diesem besonderen Anlass lud ich meine Schwester zu einer gemeinsamen Reise ein. Sie ist zwei Jahre jünger als ich. Das ist die erste Geschwisterreise in unserem Leben. Das klingt erstaunlich, ist aber ganz einfach. „Urlaub“ gab es nicht während unserer gesamten Kindheit und Jugendzeit. Er existierte nicht einmal als ein Begriff. Dann ging ich nach Deutschland. Später hatten unsere Familien gelegentlich zusammen Urlaub gemacht, in China und Europa. Aber da waren wir meistens mit den Kindern beschäftigt. Jetzt machen wir endlich eine neue Erfahrung des gemeinsamen Reisens, als Bruder und Schwester. Besser spät als nie.
(Da wir ja in außergewöhnlichen Zeiten leben, noch dieser Hinweis: Natürlich organisiere und bezahle ich meine Reise selbst.)
P.S.: Just als ich diesen Text zu Wolfgang Hirn schicken wollte, konnte ich am Ende einer mehrstündigen Fahrt in der Stadt Mang (Provinz Yunnan) etwas beobachten, das mich sprachlos zurückließ und das ich unbedingt noch in dieser Ausgabe loswerden möchte. Es war gegen 21.30 Uhr. Plötzlich Stau. Nicht, dass ich Stau nicht kennen würde in China. Aber hier in der Grenzstadt Mang um diese Uhrzeit? „Was ist los?“, fragte ich. Die Antwort: „Die Eltern holen doch ihre Kinder ab. Es ist Schulschluss für die Mittelstufe. Die Oberstufe endet noch etwas später. Die sind ja schon groß, können meistens selbst heimkehren.“ „Fast genauso wie in Shanghai,“ warf meine Schwester ein. „Dann noch mindestens eine Stunde Hausaufgaben.“ „Nur eine Stunde? Bei uns …“ Ich habe schon nicht mehr zugehört und fing an Fotos von der Straßenszene zu machen – trotz der Dunkelheit.
* Was Wan Hua Zhen bedeutet und wer der Autor ist, erfahren Sie hier: https://www.chinahirn.de/2024/07/08/was-bedeutet-wan-hua-zhen-der-kolumnist-erklaert-und-stellt-sich-vor/